Schon bekannte umgangssprachliche Formulierungen des täglichen Sprachgebrauchs zeigen, wie bedeutsam wir Menschen für orale Empfindungen sind. Denn sie bezeichnen fast immer emotionale Zustände: „Jemandem die Zähne zeigen” oder „jemandem auf den Zahn fühlen” , „etwas in sich hineinfressen”, „sich durchbeißen”, „Biss haben” oder „mit Biss bei der Sache sein” sind nur einige Beispiele. Empfindungen wie „Zähne zusammenbeißen und durch” oder „vor Wut mit den Zähnen knirschen” werden auch als Ursache so genannter craniomandibulärer Dysfunktionen , also der Fehlregulation der Muskel- oder Kiefergelenkfunktion , diskutiert.
Heute stellen Schmerzen und Funktionsstörungen des Bewegungsapparates aktuell ein bedeutsames Krankheitsbild dar. Denn in den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Patienten, die an Funktionsstörungen und Schmerzen leiden, drastisch erhöht. Doch das Phänomen ist schon sehr lange bekannt, denn bereits in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat der bekannte HNO-Arzt Costen darauf hingewiesen, dass Zähne und der Zusammenbiss dieser Zähne etwas mit der Befindlichkeit im gesamten Bewegungssystem und mit Schmerzen im gesamten Körper zu tun hat.
Die Funktionen von Zähnen und Zussamenbiss bleiben nicht nur auf eine Ebene - z. B. die Kopfebene, die Halsebene oder die Hüftebene beschränkt - sondern, leiten sich über Bindegewebshäute (Faszien) und Muskelzüge, im gesamten Körper weiter.Aber auch die Kraft, die beispielsweise durch nächtliches Zahnknirschen entsteht, muss wo bleiben, denn schon Newton wußte: “Jede Kraft hat eine gleichgroße Gegenkraft”. Daher ist es, laut Prof. Kopp von der J.W.Goethe-Universität in Frankfurt auch verständlich, “…dass Kräfte, die durch Knirschen oder Pressen - was etwa durch psychische Spannungssituationen hervorgerufen und dauerhaft unterhalten werden kann - mit dafür verantwortlich sein können, dass sich die Zahnhartsubstanz verändert und der Zahnhalteapparat umgebaut wird…”
Kaum jemand denkt bei diesen Beschwerden an die Zahnlücke im Mund oder ans Zähneknirschen in der Nacht Doch die Ursachen für die andauernden Beschwerden können sehr wohl im Mund liegen. Denn Dysfunktionen und Schmerzen können im Wege der Weiterleitung nicht nur vom Kopf zu den Fußsohlen ziehen können, sondern auch - wenngleich wesentlich weniger bedeutsam - in umgekehrter Richtung von der Fußsohle bis zum Schädel Einfluss haben können.
Damit wird aber auch die häufig gestellte Frage, was der Zahnarzt bzw. der Kieferorthopäde bei Kopfschmerz, Migräne und Hüftbeschwerden tun kann, schon beantwortet: Der Zahnarzt kann durch eine zielgerichtete Behandlung der Zähne und des Zusammenbisses der Zähne gemeinsam mit dem Kieferorthopäden, der sich um die richtige Stellung der Zähne im Kiefer und die Stellung der Zähne zueinander sowie um die korrekte Größe und korrekte Lage der Kiefer zueinander kümmert, direkt auf die Funktionen des Bewegungsapparates Einfluss nehmen. So lassen sich Dysfunktionen und Schmerzen auch an weit vom Zahnsystem entfernten Stellen des Körpers positiv mitbeeinflussen.
Prof. Dr. Kopp meint daher folgerichtig: “Mund- und Allgemeingesundheit lassen sich nicht voneinander trennen! „Teamwork” ist daher auch bei der Entscheidung für eine geeignete Schmerztherapie gefragt : Durch die fachübergreifende Zusammenarbeit mit Orthopäden, Manualmedizinern und Osteopathen, aber auch mit Allgemeinmedizinern, Hals-, Nasen-, Ohrenärzten, Neurologen und Psychosomatikern können betroffene Patienten häufig dauerhaft von ihren Beschwerden befreit werden”.
Bleibt nur zu hoffen, dass diese berechtigte Forderung bei allen angesprochenen Fachkräften nicht ungehört bleibt und die interdisziplinäre Kommunikation endlich besser zu funktionieren anfängt.