Nur ganz Gefährliches hört man über ihn: Er bedroht jeden, vom Manager bis zur alleinerziehenden Mutter. Er verursacht Herz-Kreislauf-Beschwerden, bringt den Stoffwechsel durcheinander und soll für so manchen Nervenzusammenbruch verantwortlich sein. Es ist also an der Zeit, diesem Unhold das Handwerk zu legen.
Eingebrockt hat uns das ein kanadischer Physiologe. Nicht, daß er den Streß wirklich erfunden hätte, nein, er hat ihm “nur” den Namen gegeben. Er verwendete den Begriff, um damit den Zustand zu umschreiben, in dem sich unser Körper unter Abnützungs- oder Verschleißbedingungen befindet. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird aber nicht nur das als Streß bezeichnet, was sich in unserem Körper an Streßreaktionen abspielt, sondern auch das, was dazu geführt hat, sprich der Anlaß, bzw. der Auslöser.
Ursprünglich war Streß gar nicht der Unhold, als der er sich uns jetzt darstellt. Im Gegenteil, die Streßreaktion ist durchaus eine sinnvolle Antwort auf eine konkrete Bedrohung. Denn die Vorgänge, die während einer solchen Reaktion im Körper ablaufen, bereiten ihn ideal auf eine Fluchtreaktion vor:
Das Herz schlägt schneller, die Muskulatur wird besser mit Blut versorgt, die Zucker- und Fettreserven des Körpers werden mobilisiert und die Atemwege erweitert. Das schafft die Vorraussetzung für körperliche Höchstleistungen. Denn damit sind die Muskeln einsatzbereit, Energie steht zur Verfügung und die Atemwege sind ebenfalls auf “Action” eingestellt.
Konkrete Bedrohungen, auf die mit Muskelarbeit reagiert werden muß, sind heutzutage die absolute Seltenheit. Sehr viel häufiger sind Situationen, die in uns zwar dieselbe Alarmreaktion auslösen, auf die wir aber nicht mit körperlichen Aktionen reagieren können. Hetze, ungerechte Behandlung, Blamagen und Wut, um nur einige der unzähligen Beispiele zu nennen, können diese Streßreaktion genauso erzeugen, wie die unmittelbare Begegnung mit einem gefährlichen Tier. Während aber bei der Flucht vor dem Tier oder im Kampf mit ihm die bereitgestellte Energie aufgebraucht würde und auch alle anderen Vorgänge zurecht abliefen, ist das bei den genannten Auslösern nicht der Fall. Ja, es gehört sogar zum guten Ton, sich Streß nicht anmerken zu lassen.
Diese ständige Verleugnung unseres physiologischen Erbes kann bei entsprechender Streßbelastung zu den unterschiedlichsten Beschwerden führen. So kann sich Streß “auf den Magen” schlagen, die Funktion des Abwehrsystemes beeinträchtigen und zur Enstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen. Psychische Folgen von Streß können Gereiztheit, Konzentrationsstörungen, aber auch depressive Verstimmungen sein.
Inzwischen wird sogar versucht, die Auslöser der Streßreaktionen, die sogenannten Stressoren, in verschiedene Kategorien einzuteilen. Dazu gehören psychosoziale Stressoren, wie z.B. zwischenmenschliche Konflikte in Beruf und/oder Freizeit. Zu eben dieser Problematik haben amerikanische Wissenschaftler eine interessante Studie mit Affen durchgeführt: Gruppen einer bestimmten Art von Makakenaffen bestehen aus dominanten und untergeordneten Tieren. Fremde Tiere, die zu einer Gruppe neu dazukommen, werden bekämpft. Für das Experiment wurden 6 Gruppen zu je 5 Tieren ausgewählt. Während 3 Gruppen immer wieder neu zusammengewürfelt wurden, blieben die anderen 3 Gruppen in ihrer Zusammensetzung konstant. Alle Tiere erhielten eine cholesterinreiche Ernährung. Nach 22 Monaten wurden die Tiere untersucht. Dabei stellte sich heraus, daß die dominanten Affen der Gruppen mit wechselnder Zusammensetzung Gefäßschäden im Sinne einer Arteriosklerose aufwiesen. Die untergeordneten Tiere jedoch waren frei von derartigen Veränderungen. Zumindest an Affen konnte damit die Annahme bestätigt werden, daß Ernährung im Zusammenwirken mit Streß und bestimmten Verhaltensweisen die Entwicklung einer Arteriosklerose fördern kann.