Die Halle scheint unendlich tief zu sein, vereinzelt nimmt man Bewegungen wahr, so zwischendrin, an den zum Teil bedrohlich anmutenden Gerätschaften. Da sitzen, liegen, kauern in allen möglichen Positionen Menschen, teils entspannt, meistenteils jedoch mit geröteten Köpfen, manchmal auch mit verzerrten Gesichtern. Nur schreien tun sie nicht. Man hört lediglich die Geräte klacken.
Wir sind ja auch nicht in einem Foltercamp, sondern im Trainingsraum eines Kieser-Studios in München, in einer ehemaligen Fabrikhalle in Neuhausen. Da haben denn laut Firmenkonzept auch Musik, Spieglein oder Bar genauswowenig zu suchen wie Sauna und Solarien. Nur ein Frischwasserbrunnen duckt sich in einer Ecke. Das war damals beim Start, 1995, schon was besonderes, diese Askese.
Nichts soll ablenken vom eigentlichen Sinn und Zweck des Kieser-Trainings: Kraftsport. Ohne Drumherum. Und sogar ohne vorheriges Aufwärmen. Dafür ist der Gründer, der Schweizer Werner Kieser, auch oft genug angegriffen worden. Fahrlässig sei das, der Muskulatur sofort und ohne Vorbereitung Höchstleistung abzuverlangen – Risse und sonstige Verletzungen seien hier geradezu prädestiniert.
Nein, wehrt sich die Kieser-Philosophie, wir brauchen keine Aufwärmphase, wir erledigen das über unser Übungskonzept. Dabei wird von 60 bis 90 Sekunden Dauer pro Übung / Station ausgegangen, je nach der Ausdauer des „Delinquenten“ und nach dem eingestellten Gewicht.
Die ersten 50 bis 80 Sekunden dienen, so der Ansatz, dem „Einlaufen“ des Muskels, also seiner Aufwärmung. Und nur die letzten fünf bis zehn Sekunden des Durchgangs, dann, wenn es richtig anstrengend wird, seien für den Muskelaufbau da, die „Muskelfaser-Rekrutierung“ - um dem Kind einen standesgemäßen Namen zu geben.
Den Gesichtern der Trainierenden zufolge befinden sich gerade ziemlich viele in dem Rekrutierungs-Stadium, und man mag den Ausführungen eines Mitarbeiters sofort Glauben schenken, als er sagt: „Danach will man die Maschine nie wieder sehen.“ So mancher sondert zu diesem Zeitpunkt auch ächzende oder stöhnende Laute in die Halle ab.
Das alles gilt für rundum Gesunde. Wie in vielen anderen Fitness-Studios auch, geht einem Trainingsprogramm-Start eine orthopädische Untersuchung voraus. Ist klar, wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, dass es ja um die Stärkung der Muskeln geht, die einem durch Verspannungen und ähnliches Ungemach bereiten. Ein starker Rücken kennt keine Schmerzen, so das Kieser-Credo.
Teilt der Patient dem Arzt nun zum Beispiel mit, dass er es am Herzen hat, wird dementsprechend auf die Maximalbelastung, die extreme „Muskelfaser-Rekrutierung“, verzichtet - zugunsten etwa von einer höheren Wiederholungszahl bei den einzelnen Übungen.
Wir legen jetzt auch offen, dass wir selbst schon recht lange „bei Kieser“ trainieren. Uns ist bisher nichts gerissen, auch nicht der Geduldsfaden bei der tausendundeinten Muskelfaser-Rekrutierung. Wir haben aber auch im Laufe der Zeit unser eigenes kleines Nebenprogramm entwickelt – so dehnen und schütteln wir uns schon mal zwischen den einzelnen Stationen, obwohl offiziell kein „Stretching“ vorgesehen ist. Und bisweilen wäre ein bisschen “Muzak”-Beschallung oder ein wenig mehr Farbe doch ganz nett.
Meistens aber genießen wir es, dass wir für rund eine Dreiviertelstunde unseren Körper spüren, lauschen dem beruhigenden Klacken der Geräte, werden richtig ruhig – und freuen uns aufs Danach, wenn wir uns zum Duschen begeben in die große runde Blechtrommel, welche die äußere Schlichtheit dieses Konzepts bis in die Rekreations- und Hygienephase hineinträgt.