Es sind traurige Lieder, die in der alten Synagoge El Transito erklingen. Den Text versteht der Zuhörer nicht, denn Eva Medina singt auf Ladino, der Sprache der spanischen Juden im Mittelalter. Die junge Sängerin weiß es nicht genau, aber sie vermutet, dass sie jüdische Wurzeln hat. Vielleicht haben sich schon ihre Vorfahren hier in Toledo an diesem Ort getroffen und gebetet. Die Synagoge El Transito ist ein Paradebeispiel für das Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen im maurischen Spanien. Bereits im 8. Jahrhundert besetzten die über die Meerenge von Gibraltar kommenden Araber große Teile der iberischen Halbinsel, darunter auch Toledo. Nach relativ kurzer Zeit, schon im Jahr 1085, wurden Toledo und große Bereiche des Landes im Rahmen der Reconquista von den Christen zurück erobert. Dennoch lebten die Anhänger der drei Religionen in den nächsten rund 300 Jahren friedlich zusammen, wie es heute scheint. Im 14. Jahrhundert ließ sich der jüdische Schatzmeister des spanischen Königs die Synagoge El Transito als privates Gebetshaus bauen. Errichtet wurde sie ganz im damals üblichen Mudejar-Stil, den die maurischen Besatzer mitgebracht hatten. Geradezu überladen ist die Wanddekoration der großen, 17 Meter hohen Halle. In den flächendeckenden Gipsornamenten finden sich zum Erstaunen der heutigen Besucher auch Zitate aus dem Koran. Wie kommen gerade die in ein jüdisches Gotteshaus? Haben die arabischen Handwerker die Schriftzeichen heimlich eingeschmuggelt? Oder sah man die Abgrenzung der Religionen damals nicht so eng, hätte man also auch Allah in einem jüdischen Haus preisen können? Dem christlichen König wird ebenfalls in einer Inschrift direkt neben der Thora-Wandnische Reverenz erwiesen.
Nach Spanien reisen, um Toleranz zwischen den drei monotheistischen Religionen kennen zu lernen? Eine sonderbare Idee, könnte man meinen. Doch zumindest historische Spuren finden sich auf unserer Reise immer wieder. „Toledo ist die Hauptstadt der Spurenfindung” meint die Kieler Historikerin Birgit Aschmann, die die Studienreise begleitet. Die ganze Stadtanlage ist arabisch geprägt, christliche wie jüdische Auftraggeber ließen im maurischen Stil ihre Häuser bauen. Es finden sich sogar noch zwei alte Synagogen in Toledo, wo doch sonst in Spanien die Spuren des Judentums fast allesamt verschwunden sind. Nicht nur in der Baukunst zeigt sich das einzigartige Miteinander von Muslimen, Christen und Juden auf der iberischen Halbinsel, auch Wissenschaften, Literatur, Philosophie und Kunst erlebten wahre Blütezeiten. In der Übersetzerschule von Toledo wurden alle damals wichtigen Schriften aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt, wobei oft in religionsübergreifenden Teams gearbeitet wurde. So ließ beispielsweise der Erzbischof von Toledo erstmals den Koran übersetzen - höchstwahrscheinlich in der Absicht, ihn umso besser widerlegen zu können. Aber hat man dabei nicht auch gemerkt, wie sehr mancher Text dem der Bibel ähnelt, so z.B. die 93. Sure dem Psalm 23?
Auf dem Weg zum nächsten Etappenziel Córdoba haben wir genügend Zeit, uns darüber Gedanken zu machen. Über die unendliche Weite der ausgedörrten Hochfläche Spaniens geht es am Bergrücken des Cerro Calderico vorbei, wo noch einige alte, typische Windmühlen der Mancha zu sehen sind - Don Quichote lässt grüßen. Córdoba, am Ufer des Guadalquivir gelegen, wurde bereits 756 Hauptstadt des maurischen Reichs, womit eine herausragende archtitektonische Prachtentfaltung verbunden war. Im 10. Jahrhundert galt Córdoba als die bedeutendste Metropole in Westeuropa, in der abends sogar die Straßen beleuchtet wurden; Paris oder London waren nur kleine Dörfer. Aus dieser Zeit stammt auch die Große Moschee - Mezquita, wie sie hier genannt wird. Eine hohe Mauer umschließt die ganze Anlage. Durch 19 Eingänge konnten die Gläubigen das Gebetshaus vom Hof aus betreten. Uns heutigen Besuchern stockt erst mal der Atem: Im Halbdunkeln erstreckt sich ein scheinbar unbegrenzter Säulenwald, über dem sich rot-weiß gebänderte Doppelbögen erheben. Mehr als 23.000 Quadratmeter misst die Fläche, ausreichend für rund 20.000 Betende. Die Hauptachse ist auf die prächtige Gebetsnische an der Rückwand des Gebäudes ausgerichtet. Mit dem riesigen Bau demonstrierten die Kalifen von Córdoba ihre Macht, die auch von anderen Herrschern der Zeit anerkannt wurde. So wurden beispielsweise die besten byzantinischen Künstler nach Cordoba geschickt, um hier die Mosaiken rund um die Gebetsnische zu verlegen.
Nach der Rückeroberung Córdobas durch die Christen wurde im 16. Jahrhundert mit dem Bau einer Kathedrale mitten in der Moschee begonnen. Staunend sieht der Betrachter, wie sich die Kirche auf den Säulen der Moschee stützt. Mehr als 200 Jahre dauerte der Bau der Kathedrale, verschiedene Herrscher hinterließen ihre Vorstellungen und die Baustile ihrer Zeit, aber alle scheinen auch den muslimischen Vorgängerbau respektiert zu haben. Immerhin existieren noch 80 Prozent der ehemaligen Mezquita, die wichtige Blickachse zur Gebetsnische blieb erhalten und der Glockenturm draußen im Garten birgt noch das frühere Minarett in seinem Innern. Oder ist diese Interpretation falsch und sollte der Bau der Kirche in der Moschee in Wirklichkeit eine besonders große Demütigung für die Muslime bedeuten? Wir können das Rätsel nicht lösen.
In einem Café draußen vor der Mezquita treffen wir Mansur Escudero, den Präsidenten der Islamischen Gemeinschaft Spaniens. Der 60-jährige Mediziner fordert, dass die Muslime wieder in der früheren Moschee beten dürfen. Er stellt keine Besitzansprüche, wie er betont, aber er möchte „den Geist des gemeinsamen Betens” hervorheben. „Das Gebäude ist groß genug für Muslime und Christen”, sagt er. Und: “Die Vielfalt ist eines der größten Güter des Islams.” Escudero, der auf der schwarzen Liste der islamischen Fundamentalisten steht, sieht die Mehrheit der Spanier hinter seinen Forderungen stehen. Ganz anderer Meinung ist allerdings der Bischof von Córdoba, Juan José Asenjo. Er lehnt die Umwandlung in ein ökumenisches Gotteshaus ab und betont die älteren Ansprüche der katholischen Kirche. Zur Demonstration ließ er an einer Stelle der Moschee den Boden öffnen, um die darunter liegenden Mosaiken der noch früheren christlichen Basilika San Vicente zu zeigen.
Granada ist das nächste Ziel unserer Reise auf den Spuren der Toleranz. Oder überwiegt doch eher die Intoleranz? Auf jeden Fall liegen beide Phänomene nah beieinander. Zur Einstimmung auf die Alhambra, den Palast der maurischen Nasriden hoch über Granada, empfiehlt sich ein Spaziergang durch das Altstadtviertel Albaicin. Enge Gassen, weißgekalkte Häuser, kleine Gärten hinter hohen Mauern. Vom Vorplatz der Kirche San Nicholas aus gelingt endlich der lang erwartete Blick auf die Alhambra auf der gegenüberliegenden Hügelkette. Weiter hinten erstreckt sich die Sierra Nevada, deren Bergspitzen oft sogar im Sommer noch schneebedeckt sind. Nach außen ist die Alhambra wie alle orientalischen Paläste eher trist. Nur kleine Fenster unterbrechen hin und wieder die Sandsteinfassade, kein Schmuck, keine Zierelemente.
Davon sehen wir allerdings am nächsten Tag, als wir den Palast von innen besichtigen, soviel, dass das Auge die Pracht kaum noch aufnehmen kann. Arabesken bedecken die Wände, die Säulen, die Torbögen. Im Löwenhof mit seinen 124 Palmen symbolisierenden Säulen fehlen leider die Löwen, da sie gerade renoviert werden. (Ab April 2008 sollen sie wieder an ihrem Platz sein.) Auch hier wieder ein Miteinander der Religionen, denn die 12 Löwen waren ein Geschenk des jüdischen Ministers an den Herrscher. Die umlaufenden Arkaden erinnern an einen christlichen Kreuzgang. Immer wieder finden sich Beispiele für die Verschmelzung der Kulturen, für eine fruchtbare Symbiose. Sie endete abrupt mit der Einnahme Granadas durch das spanische Königspaar Isabella und Ferdinand im Jahr 1492. Juden und Mauren mussten das Land verlassen oder sich taufen lassen. In den folgenden Jahren wütete die Inquisition, ein Sieg der Intoleranz. Bleibt also nur Pessimismus als Fazit der Reise? Nein, denn wir haben Spuren gesehen, die zumindest zeitweise von einem fruchtbaren Zusammenleben der Kulturen und Religionen erzählen. Vielleicht finden sich darin auch Antworten auf heutige Fragen.
Die beschriebene Reise findet man im Programm von „Biblische Reisen”. Als zwölftägige Studien- und Begegnungsreise vom 2. bis 13. September 2008 kostet sie 1.995 Euro. Enthalten sind u.a. Hin- und Rückflug mit Lufthansa, Übernachtungen im DZ mit Halbpension, qualifizierte Reiseleitung, alle Eintrittsgelder.
Biblische Reisen - Silberburgstr. 121, 70176 Stuttgart - Tel. 0711-61925-0 - www.biblische-reisen.de