Dort, wo eine makel- wenn auch kopflose Venus aus Marmor die Orangerie des Schlosses am Comer See ziert, werden die besten Süßspeisen und Salzwasserfische zubereitet, spielen sich weltbekannte Lebens- und Liebesdramen ab. Wir meinen Bellagio, einen der schönsten Orte unserer Erde, und seine unmittelbare Umgebung. Bewohnt von geldreichen Mailändern, besucht von noch reicheren Amerikanern und herrlich besungen von geistreichen Briten und Deutschen.
Alles präsentiert sich dem Gast hier in idealtypischer Art: Ein Schiff nach dem anderen legt an und bringt die Passagiere an jeden Punkt des großen Sees. Auf Autofähren hat man nie lange zu warten. Die Spazierwege gehören zu den Kostbarkeiten unseres Lebens, exklusive Schmuck- und Schuhgeschäfte verführen die Damen, man kann aber auch standhaft sein. Malerische Winkel laden zum Verweilen und Lesen von Büchern und Zeitungen ein. Man zapft vorzügliches Bier, hergestellt in Italien. Und alles hat natürlich seinen Preis.
Als Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862-1946) am 26. März 1898 in der Villa Serbelloni in Bellagio eintrifft, denkt er zunächst nur an eine warme Speise und seine heiße Liebe namens Anja, die er bald in seine Arme schließen will. Sein erster Eindruck: Ankunft und Abendessen „in dem mit schweren Möbeln und Portieren ausgestalteten düstern Raum standen in einem unerwarteten Gegensatz zu den sonstigen Eindrücken unserer Fahrt“. Der junge Dichter preist „den mächtig ausufernden Park der Villa Serbelloni“ und deren willkommene Atmosphäre“. Und, so lesen wir weiter in seinem Tagebuch, man wird ausgezeichnet versorgt. Der Kellner „schlich auf unhörbaren Sohlen und brachte getreulich bis lange nach Mitternacht, was wir wieder und wieder zu haben wünschten“.
Damals wie heute speist man vorzüglich in der Nobelherberge Serbelloni. Nunmehr in prächtigen Salons und Glasveranden mit Seeblick. Unter bacchantischen Szenen, wie sie uns die Antike so farbig und faszinierend überliefert, und alten Ölbildern servieren stets freundliche Ober in Livree Campari und Cappuccino, Garnelentartar und Gelbreis mit Tomaten, Ravioli aus frischem Teig mit Krebsfüllung und karamellisierte Störstückchen mit Soja, Haifischflossen, Algen und Fischkraftbrühe, um nur einige Leckerbissen zu nennen.
Der Köstlichkeiten im Grand Hotel sind aber mehr: Ein blühender und sprühender Park, mehrere Pools, Beauty Farm (Well-being and beauty programmes from one to seven days), Fitness Centre und die Möglichkeit, vom See aus nach Como zu fliegen. Wir sehen auf den Bänken zeitungslesende und kreuzwortlösende Gäste und edel gedeckte Tische, deren Anblick allein schon ein Augenschmaus ist.
Der aufliegenden Speisekarte entnehmen wir eine Delikatesse besonderer Art: Ein siebengängiges Menü (65 Euro) aus der Cucina moleculare der schöpferischen Köche Ettore Bocchia und Andrea Arienti, deren Name derzeit überall in aller Munde ist, bis hin nach Sizilien, wo sich unlängst (im Mai 2004) Italiens Staatsoberhaupt Ciampi (von Bocchia) aufkochen ließ.
Was versteht man unter Cucina moleculare? Als Vorspeise sozusagen eine kurze Erklärung. Sieht man einmal von der Schnellgarmethode ab, kocht und brät der Mensch, seit es ihn gibt, seine Nahrung im Wasser, am Herd oder im Ofen. Heute weiß man längst, so gehen beste Nährstoffe verloren. Andererseits die Frage: Wie sonst soll eine Seezunge zur Gaumenfreude werden?
Um nun wichtige Grundsubstanzen unserer Lebensmittel zu erhalten, schreiben unsere Köche im Grand Hotel Serbelloni, die mit dem Physiker Davide Cassi von der Universität Parma eng zusammen arbeiten, ein völlig neues Gourmetbuch. Darin kommen Begriffe wie kochendes Wasser, Bratenfett und –öl kaum noch vor, dafür aber Stickstoff, Alkohol und Zucker. Nicht die gesündesten Produkte, denkt man sofort, aber lassen wir uns überraschen. Drei Beispiele illustrieren die neue Kochart:
Es sind aber nicht nur die im Zucker zubereiteten Fischfilets (Rombo) und Süßspeisen (Jaqueline), sondern auch bemerkenswerte Begegnungen – so nach dem Motto: Liebe geht durch den Magen. Womit wir wieder bei Gerhart Hauptmann wären! Am 11. April 1898 (Ostern) kann er endlich nach langem und bangem Warten seine liebe Anja empfangen. Und weil sie gewährt, was er begehrt, wird der Comer See mit dem blonden Backfisch zum real existierenden Paradies.
Hauptmann ist inzwischen nach Tremezzo, das Bellagio direkt gegenüber liegt, umgezogen und genießt hier die Morgensonne im doppelten Sinne. Und immer sichtbar: „Villa Serbelloni mit der schönen Halbinsel“. Am Höhepunkt der Gefühle schreibt der Dichter über sein Lustspiel: „Es schlugen Dinge hinein, die an das Italien der Romantik und an die Zeit erinnerten, wo Liebe und Romantik dasselbe bedeuteten.“
Das ist Musik – genauso wie für den Komponisten Franz Liszt (1811-1886) und seine zart besaitete Marie d’Agoult (1805-1876). Er ein Star, sie ein frecher Spatz. Beide bauen in den dreißiger Jahren Bellagio zu ihrem Liebesnest aus. Man wohnt am Ufer, einen Steinwurf von Serbelloni entfernt, und ergeht sich im prächtigen Garten der Villa Melzi. Im Pavillon dort liest die verehrens- und begehrenswerte Frau ihrem Galan aus Ungarn Gedichte vor, und in der Orangerie (dort, wo heute die römische Marmor-Venus steht), lockt er mit Musik die Geliebte in sein klingendes Reich.
Was ist das für ein Frühling 1837 im farbenprächtigen und geschichtsträchtigenPark, in dem rote, violette, rosa und blaue Kamelien, Azaleen und andere südliche Sträucher die Augen der Liebenden erfreuen, in dem die Lorbeersträucher duften wie nirgends in Italien und die Rhododendren gedeihen wie nirgends auf der Welt. Indes, die Blüte weicht der Frucht. Und so vernehmen wir auch in Bellagio ein süßes Geheimnis: Marie teilt ihrem Ungarn mit, von ihm ein Kind zu erwarten. Am 24. Dezember 1837 erblickt es im nahen Como das Licht der Welt: Cosima, die weltberühmte Cosima Wagner.
Exakt an diesem Tag und fast zur selben Stunde wird in München eine kleine Elisabeth geboren, die spätere Kaiserin von Österreich mit ihrem Kosenamen Sissi. Und auch sie wird einmal der Weg an den schönen Comer See führen und flüchten lassen, auch sie wird einen Ungarn (Andrássy) lieben und von ihm ebenfalls ein Mädchen bekommen.
Beide Frauen sollen sich auch in Bayreuth begegnen. Ob sie auch über die zauberhafte Villa Melzi sprechen? Diesen Adels- und Edelsitz hat um 1810 der Herzog von Lodi, Francesco Melzi (1753-1816), bauen lassen. Er war Kammerherr der Kaiserin Maria Theresia und dann im Gefolge Napoleons. Wie er ein tüchtiger Frauenheld, der Liebesgunst und –kunst der jungen Schönheiten aus Fleisch und Blut über die Vaterlandsliebe stellte! Melzi ließ in seinem Park auch eine Kapelle bauen, in der er sein jeweiliges Schätzelein anbetete und auch entsprechende Opfer brachte. Wohl gemerkt in dieser kleinen Kirche!
Bellagio hat man einmal die schöne Freude genannt, die vielen Dichter, die hier länger bleiben und schreiben, ebenso wie der alte Melzi anbandeln und lustwandeln, sehen es nicht anders. So der Franzose Henri Stendhal (1783-1842) und der Brite Percy Shelley (1792-1822), der Bellagio „den schönsten Ort der Welt“ bezeichnet, der Mailänder Alessandro Manzoni (1785-1873), der einen Roman (I promessi sposi) schreibt, der sich um Como abspielt, und der Deutsche Kasimir Edschmid (1890-1966), der meint: „Der Comer See hat an der Punta von Bellagio seinen bemerkenswertesten Ort.“
Infos: Associazione operatori turistici+economici, Piazza della Chiesa 14, 22021 Bellagio-Como/Italia. Tel.: ++39 031-951 555. Fax: ++ 39 031-950 204. www.bellagiolakecomo.com. E-mail: prombell@tin.it
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