Unwillkürlich begleiten Mozart und seine Musik den Reisenden in das Salzburger Land. Die heiteren Melodien entsprechen einer ebensolchen Landschaft, zumal im Flachgau mit seinen vielen Seen und Sehenswürdigkeiten. Ihn grenzt ein fast kreisförmiges Terrain mit zehn Kilometern Radius und tausend Facetten ein. Aus den Berichten seiner Besucher wissen wir, daß er mit seiner Natur und Kultur die Menschen zu allen Zeiten faszinierte.
Hier opferten einheimische Noriker und römische Besatzer dem Jupiter und der Venus, hier missionierte der heilige Rupert, hier wohnten die Dichter Carl Zuckmayer und Ödön von Horvath. Ebenso verwunderlich die Bewohner der ökologischen Nische Flachgau. Hier sind noch heute Maikäfer, Eichelhäher, Nachtigallen und Salamander zu Hause, wachsen Herrenpilze, vierblättriger Klee, Minze und Sanddorn.
Spitze weiter die Gast- und Gotteshäuser. Die Wirte fahren “Bratl in der Rein” (durchwachsene Schweinsbraten mit Kartoffeln und Semmelknödeln und “Saft”) und den köstlichen Saibling aus eigenen Gewässern (!), wie beim Seewirt in Mattsee, auf. Bauern brauen köstliches Weißbier (Raggei Bräu) und kredenzen es in eigenen Lauben. Die Kirchen in diesem sehr früh christianisierten Landstrich wurzeln in heidnischem Tempelboden. Michaelbeuern im Norden und Seekirchen im Süden haben diesbezüglich eine ebenso reiche Geschichte wie Mattsee, das exakt zwischen diesen Polen liegt und mit seinem Michaelspatrozinium auf die einstige Verehrung des Götterboten und Kaufherrengottes Merkur (Waage im Wappen über der Kirchentür) hinweist.
Wer über dieses einst heidnisch-ambrosische und nunmehr christlich-lukullische Land fährt, spürt an jeder Wegkreuzung: Hier könnte das Paradies gestanden haben. Nur der bayerische Watzmann, der sich von gewissen Stellen aus wie das Matterhorn auftürmt, holt uns wieder in die Gegenwart zurück. Und natürlich Hohensalzburg, das wie ein Wegweiser die Richtung in die Mozartstadt anzeigt.
Der Aufenthalt auf dieser Seenplatte ist auch deshalb so kurzweilig, ja bisweilen sogar an- und aufregend, weil es hier die Kostbarkeiten zu entdecken gilt - die Biotope mit seltenen Kräutern und Käfern, die alten Schmieden und Mühlen, wenig bekannte Badeplätze und Wanderwege, ein zauberhaftes Museumsdorf und vor allem die Kirchen, die man sogar an Sonntagen aus Angst vor Raub und Zerstörung schließt.
Andererseits führen Erkundigungen nach Zugängen zu Gewässern und den Pfaden durch Schluchten und Klammen, nach Kirchenschlüsseln (werden bereitwillig ausgeliehen) und Kinderspielplätzen zu Kontakten mit den Bewohnern, die an Festtagen in Tracht und mit Musik durch die Dörfer ziehen und an Werktagen in Jeans ihre Felder bestellen. Da erfährt man so nebenbei, dass an Ort und Stelle ein österreichischer Bundeskanzler von der nahen Quelle schwärmte und ein berühmter Trompeter seine Soli für die Festspiele übte.
Kurzum, ein herrliches Plätzchen für Menschen, die ihren Urlaub selbst gestalten wollen und können und somit unabhängiger vom Wetter sind, zumal Salzburg mit seinen vielen Kirchen und Kunstschätzen, Gasthäusern und Gärten schnell zu erreichen ist. Ein Idealtopos auch für Familien mit Kindern und kleinen Geldbeuteln. Die Aktionen “Über 16 Euro kein Zimmer” (mit Dusche und WC) und “Bauernherbst (vom 23. August bis 26. Oktober) locken die Fremden ebenso an wie die Biergärten, deren Besitzer sich viel Mühe geben, daß ihre Gäste satt und die Kastanienblätter nicht braun werden. Zu Salat und Schnitzel, Braten und Knödel, Würstl und Kasnocken, Bier und Wein gesellt sich nicht selten noch ein Ohrenschmaus. Blaskapellen sind abends fast allgegenwärtig, deren Deutschmeister und Radetzkymarsch an Kaiser Franz Joseph und Sissi erinnern.
Da vergißt man gern und ganz, daß der Flachgau erst relativ kurz österreichisch ist und einst die Bayernherzöge und Fürstbischöfe von Salzburg die Bewohner beherrschten und manchmal arg unterdrückten, daß diese Herren und ihre Schergen schnell mit Haft und Hinrichtung zur Hand waren. Die Einwohner wissen über Greuel und Galgen auch heute noch in den Wirtshäusern viel zu berichten, ebenso der Kastellan und die Aufsicht des Kerkers von Neumarkt, in dessen Verliesen man ein Heimatmuseum (_Museum in der Fronfeste)_eingerichtet hat.
Auch Carl Zuckmayer hat den schaurigen Geschichten und Gerüchten gelauscht - von 1926 an, als er sich in Henndorf eine Villa (“Wiesmühl”) kaufte. In seiner _Henndorfer Pastorale_erwähnt er das “Galgenhölzl” am Wallersee. Das Opfer, das hier sein Leben einbüßte, so erzählt er, hat hier “wenigstens zuletzt noch einen schönen Blick über seinen Ort hin gehabt, und übern See hinüber bis zu den sanften Höhen des Tannbergs und des kegelartigen Buchbergs”.
In seiner Novelle berichtet der Dichter von einer schönen Zeit vor den Toren Salzburgs. Er beobachtete damals Frauen “in alter Tracht, weite Röcke, gestickte Mieder und schöne Seidentücher um Hals und Schultern, aufgesteckte Zierkämme in den Haaren”. An den Ufern der Seen bewunderte er Rohrdommel und Schwarzstorch, er lauschte dem Pirol im Wald und der Zither (“Bauernharfe”) in den Stuben der Nachbarn, sah den Fischern zu, die Zander und Seelachs aus den Fluten holten.
In seiner Villa, in deren weitem Garten er selbst Obstbäume pflanzte, besuchten ihn Prinzessinnen, Bauern und Künstler (wie Thomas Mann, Bruno Walter, Emil Jannnings, Gerhart Hauptmann und Stefan Zweig). Von seinen Tantiemen, die vor allem sein weltberühmter Hauptmann von Köpenick_einbrachte, ließ er sich ein Badezimmer und einen Kühlschrank einbauen. Zwischen den Bäumen und Blumen stand bald ein Automobil, das ihn in die Lokale der Umgebung brachte, so _Zur Straß nach Eugendorf, einer Einkehr, die “schon in Chroniken vom Jahre 800 erwähnt wird”, oder in das Wirtshaus von Seekirchen, in dem “die landesweit gerühmten Würstl” so schmeckten.
1938, beim Anschluß Österreichs an Hitler-Deutschland, mußte Zuckmayer fliehen, er kam nach dem Krieg noch einigemale vorbei. 1970 verlieh ihm die Gemeinde Henndorf in einem Festakt einen Ehrenring. “Es ist ein schwerer, massiver Goldring”, so schreibt der Geehrte, “auf der Siegelfläche ist das Henndorfer Wappen eingeprägt, in Gestalt einer stilisierten Henne, und wenn auch der Name Henndorf kaum etwas mit Geflügel zu tun haben mag, ist es für mich ein gutes Fruchtbarkeitssymbol.”
Natürlich geht der Ortsname in die Keltenzeit zurück und bedeutet ganz etwas anderes, dennoch in den Schulen wird den Kindern noch heute die Geschichte von der Henne erzählt. Unlängst hat die Gemeinde einen romantischen Wanderweg entlang des Wallersees mit Tafeln von Kinderhand ausgestattet. Unter den Farbbildern lesen wir, dass es hier einst mehr Hühner als Menschen gegeben habe. Sie seien über einen Braunbären hergefallen, der das Dorf bedrohte, und hätten ihm so zugesetzt, daß er die Flucht ergriffen habe. “Seither heißt unser Dorf Henndorf!”
Im ganzen Flachgau sind solche markierten Wanderwege von Kindern für Kinder zu finden. Schuldirektor Hans Ziller hat sie alle in einer zauberhaften Farb-Broschüre (Geschichtenwanderungen vor der Stadt Salzburg)zusammen gefasst, die in den Tourismusverbänden der einzelnen Orte erhältlich ist. Darin erfahren wir unter mehreren anderen Fabeln, wie das Glockengeläute von Michaelbeuern die böse Macht einer Wetterhexe bezwang, warum die Wildfrauenhöhle zusammenstürzte, wie einmal eine goldene Kutsche einer gottlosen Gräfin versank und woher der Teufelsgraben seinen Namen hat.
Das sind gewiss lustige Erzählungen, doch andere Geschichten befremden wieder, so die vom Haunsberger “Maunzteufel”. Er soll ein bärtiger Mann gewesen sein, der Krallen und einen Schweif hatte. Nach alten Erzählungen habe er um 1520/30 sein Unwesen in der Nähe des Dorfes Anthering getrieben. Als der Salzburger Erzbischof davon erfuhr, gab er Befehl, diesen Menschen einzufangen und in einem Käfig in seine Residenz zu liefern. Dort verweigerte er die Nahrungsaufnahme und starb bald darauf. Eine Geschichte aus einer Zeit, in der man in Kirchen Teufel brüllen ließ, Hexen verbrannte und Ketzer in den Scheiterhaufen warf. Der “Maunzteufel” wurde in Stein gehauen, jeder kann ihn vor der Kirche von Anthering sehen und sich seinen Teil denken.
Doch das Dorf Anthering hat noch eine andere Brücke in die Vergangenheit. Überall entdeckt man Heilkräuter, ein eigener Kräutergarten hat schon überregionalen Ruf errungen. Da hört man die abenteuerliche These. “Für jede Krankheit wächst in je einem Abschnitt die richtige Heilpflanze.” Es werden Vorträge gehalten, Seminare und Workshops anberaumt, man spricht über Verarbeitung und Einnahme, Naturkosmetik und Färben, Kochen und Körperpflege. Im April lädt man zum “Pflanzenflohmarkt” ein, im Juni zu einem Ausflug der Kräuterfrauen. Und auch die Kirche gibt ihren Segen: Am 15. August eines jeden Jahres werden die Kräuter geweiht, und auch darüber kann man sich seinen Teil denken.
Doch die Vergangenheit war ja nicht nur finster, was jeder Besucher der idyllischen Ortschaft Schleedorf feststellen kann. Dort ist es möglich, dem Schmied, Käser, Schneider und Bäcker bei seiner Arbeit sozusagen über die Schulter zu schauen und dann in einem einzigartigen Museum die Lebensbedingungen ihrer Ahnen vor hundert Jahren und mehr zu studieren. Wer sich Zeit nimmt und die exzellent aufbereiteten Tafeln liest, kommt unwillkürlich zu der Erkenntnis, die so selbstverständlich wie einfach ist: Der Mensch konnte sich in vielen Fällen von Aberglauben und Abhängigkeit lösen, wenn er seinen Verstand einsetzte.
Ein Beispiel dazu aus dem Museum von Schleedorf: Da war im letzten Jahrhundert ein einfacher Dorfschulmeister im Salzburger Land tätig. Seine Schüler hungerten, es gab nicht genügend Feld- und Gartenfrüchte. Je leerer der Magen, desto voller aber die Kirchen. Obwohl man viel betete und wallfahrtete, der Himmel hatte einfach kein Einsehen. Im Dorf hielt man das Elend für gottgegeben.
Da nahm unser Lehrer das Heft in die Hand und studierte den Apfelbaum. Erste Frage: Warum trägt er im Herbst keine Früchte? Der Pädagoge kam zunächst schon deswegen nicht auf die Lösung, weil man ja die Bäume teuer in Kärnten einkaufte. Nach vielem Grübeln und Lesen jedoch wusste er plötzlich die Antwort. Die importierten Bäume gedeihen in einem milden Land wie Kärnten, aber eben nicht im rauheren Salzburg. Also machte sich der Lehrer auf Wanderschaft und kaufte die Pflanzen in Gegenden, deren Klima dem seiner Heimat entsprach. Und siehe da: Die Bäume blühten und die Kinder strahlten.
Das Schleedorfer Museum umfasst mit seiner einmalig schönen Darstellungsart alle Lebensbereiche auf dem Lande. Aber nicht nur bei Lehrern stellt der Besucher ein unentwegtes Forschen fest, auch bei einigen Geistlichen. Ob es um die Förderung des Weinanbaus oder um die Erhöhung der Honigproduktion ging, um sauberes Wasser oder bessere Getreidesorten, fast immer saßen die Pioniere im Schul- oder Pfarrhaus.
Sie lasen Fachzeitschriften und schrieben selbst Bücher, tauschten ihre einschlägigen Erfahrungen aus und genossen das Ansehen der Mitbürger. Es ist wirklich eine Lust, der Museumsleiterin bei ihrer Führung durchs Haus zuzuhören, ihre schier grenzenlose Begeisterung zu teilen.
Genauso ungern scheidet man von der Wirtin der Rohrmoosmühle über dem Teufelsgraben. Sie, ihr Mann und die Enkel kredenzen neben einem herzerfrischendes Quellwasser auch Most und Säfte von der natürlichsten, ergo besten Sorte. Fachkundig erzählt sie von den Nährstoffen in ihren Produkten. Sie vermengt ihre Kräuter in köstliche Salate, man stellt erstaunt fest, wie Brot und Butter auch ohne Wurst schmecken, gleichwohl sie auch diese (neben Bier und Wein) anbietet. Für Kinder (und Erwachsene) ein unvergeßliches Erlebnis nach der Bio-Jause der Besuch der jahrhundertealten Getreidemühle. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg stillgelegt und kann jederzeit angeschaltet und für die Alltagsproduktion reaktiviert werden.
Für immer im Austrag dagegen die Hammerschmiede in Acharting. Ein Hotel mitten im Wald, überall Ruhe, die nur schreiende Pfaue und schnatternde Gänse unterbrechen. Die Besitzerin hat die Schmiede, an deren Wände eiserne Werkzeuge und Räder hängen, zu einer Wirtsstube umfunktioniert, die eine Mischung des Beisel im Rosenkavalier und der Höhlenschmiede im _Siegfried_ist. Der Beginn eines Seenplatten-Urlaubs hier ist wie eine Mozart-Ouvertüre. Diese deutet immer die schönsten Stellen der Oper an, die Hammerschmiede in jedem Falle die landschaftlichen, lehrhaften und lukullinarischen Höhepunkte im Flachgau.
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