Über Nacht legt sich eine dicke Schicht feiner, frischer Schneeflocken über die Stadt. Es schneit und schneit und schneit - mitten im Frühjahr. Während andere zu Hause schon den Garten bestellen, kommen in Davos noch einmal Wintergefühle auf. Deutlicher kann die Einladung nicht sein: Oben, am 2844 Meter hohen Weissfluhgipfel, ist keine einzige Skispur zu sehen. Unberührter Pulverschnee, so weit das Auge reicht. So muss es ausgesehen haben, als die ersten Skitouristen die höchstgelegene Stadt Europas als Ziel für den Wintersport entdeckten - Ende des 19. Jahrhunderts, als es noch keine ausgewiesenen Pisten gab. Im Zeitalter des Freeridens werden nun genau diese Flächen wieder interessant. Und die Bergwelt um Davos bietet neben den 300 Kilometern präparierter Pisten ein schier unerschöpfliches Potenzial an freiem Gelände.
Genau das ist das Revier von Marco Grogg. Abseits von blau-rot-schwarzen Abfahrten fühlt sich der Bergführer am wohlsten. Mit auffallend breiten Ski zirkelt er gekonnt um einen kleinen Felsen. “Mit diesen dicken Dingern geht das ganz von alleine”, ruft er der Reisegruppe zu. Doch die Freeride-Neulinge sehen ihm eher skeptisch zu, wie er einen Schwung an den nächsten zaubert und der Schnee hinter ihm staubt wie die Gischt einer großen Welle. Gegen die flüssigen Bewegungen des Bergführers wirken die ersten Schwünge der Skitouristen wirklich ungelenk. Doch wer den passenden Rhythmus findet, taucht für wenige Augenblicke in eine Welt voll staubendem Tiefschnee ein, die einen alles vergessen lässt und selbst dem letzten Zweifler ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Die Abfahrt über die Nordwest-Flanke des Weissfluhgipfels ist fantastisch. Mehr, mehr, mehr, verlangen die Sinne - als ob man zum ersten Mal Schokolade probiert hätte.
Immer mehr Skifahrer und Snowboarder kommen auf den Geschmack und wollen vom winterlichen Vergnügen abseits der Pisten naschen. Doch der Spaß im Powder, wie der Tiefschnee in der Szene genannt wird, birgt auch Risiken und Gefahren. Und nicht alle Freeride-Aspiranten verfügen über die nötige Sicherheitsausrüstung und das entsprechende Wissen. Die sorgenfreiste Variante, sich abseits präparierter Pisten zu bewegen, ist deshalb die mit Bergführer. Der kennt nicht nur das Gelände, sondern weiß auch um die Gefahr von Schneebrettern und Lawinen. “Man muss sich permanent mit den Schneeverhältnissen, dem Lawinenlagebericht und dem Wetter befassen, ansonsten ist man im freien Gelände fehl am Platz”, warnt Marco Grogg.
Um seine Gäste für die alpinen Gefahren zu sensibilisieren, besucht er mit Ihnen das Lawinen Trainings Center auf der Pischa. Dort erklärt der Bergführer, warum es Sinn macht, im Gelände einen Helm zu tragen und dass ein Erste-Hilfe-Set in den Rucksack gehört. Dann demonstriert er den richtigen Umgang mit Sonde, Schaufel und Lawinen-Verschütteten-Suchgerät. Nachdem sich jeder aus der Gruppe davon überzeugt hat, wie wichtig der kleine Sender im Ernstfall sein kann, und alle unter realistischen Bedingungen mit dem Gerät geübt haben, ist Marco Grogg zufrieden. „Auf geht´s”, ruft er und saust in einen der weiten Hänge.
Auf der Pischa tummeln sich vor allem Einheimische und Freerider. Denn in diesem Skigebiet lässt sich - abseits klassisch präparierter Pisten - der Rausch des Tiefschnees ungehemmt genießen. In den letzten Jahren ist hier eines der größten Freeride-Gebiete der Schweiz entstanden. Und wer einmal die sonnigen Rücken hinuntergesurft ist, will immer mehr. Als die Gruppe sich am Lift sammelt und Marco Grogg die Augen seiner Schützlinge durch die Gläser der Skibrillen hindurch strahlen sieht, grinst er schelmisch. „Für heute Nacht sind ergiebige Schneefälle angesagt”, bemerkt der Bergführer betont trocken. Und er weiß, dass die Tiefschneesaison in Davos im Frühjahr noch nicht zu Ende ist.
Das Gebiet Davos/Kloster umfasst neben 300 Pisten-Kilometern Offpiste-Abfahrten für jede Könnerstufe an.
Weitere Infos: Davos Klosters Mountains