Das Menü könnte kaum appetitlicher ausfallen: eine Suppe von Waldpilzen mit Rehstreifen und Thymian-Croutons, danach gedämpftes Forellenfilet mit Gemüsestreifen und Kräuterkartoffeln, und schließlich ein Quark-Soufflé mit marinierten Hinbeeren. Allen drei Köstlichkeiten gemeinsam: ein ausgeprägtes Aroma von viel zitierter Frische und Leichtigkeit. Natürlich, irgendwie.
Und darauf kommt es an. Darin sind sich Dr. med. Meinrad Lindschinger und Gerhard Berktold einig in ihrem gemeinsamen Buch „raffiniert.kombiniert – die sieben Säulen des Functional Eating“. „Wir leben seit vielen tausend Jahren von und mit der Natur“, meint der Ernährungswissenschaftler aus der Steiermark denn auch in einem ausgedehnten Workshop.
Das haben wir uns auch schon gedacht, ebenso, dass Flora und Fauna letztlich alles bieten, was der Mensch zum (Über-)Leben benötigt. Auch, dass die Vielfalt natürlicher Produkte kaum zu übertreffen ist. Und schließlich mag die eine oder der andere schon lange den Verdacht hegen, dass wir in unseren Büro- und Dienstleistungs-Jobs auf Mammut-Schinken und Robbenspeck weit weniger angewiesen sind als dereinst Homines Sapientes oder Inuits in Grönland.
Schleierhaft dürfte jedoch den meisten von uns sein, was wir heute eigentlich wirklich brauchen, wenn’s um Essen und Trinken geht.
Lindschinger bleibt bei der Natur angesichts solcher Fragen. Er ist überzeugt, dass die Jahrtausende alte Gewohnheit der Menschen, verschiedenste Nahrungsmittel zu kombinieren, der einzig richtige Weg ist. „Eine Mahlzeit ist nichts anderes als ein Konzept zur wechselseitigen Ergänzung von Nahrungsmitteln, ganz gleich, ob die Gänge aufeinander folgen oder gleichzeitig auf dem Tisch stehen“, verkündet der Arzt in dem Band.
Kombination ist für den Ernährungsexperten und für den Chefkoch das A und O einer effektiven und „funktionalen“ Ernährung. Die beiden sprechen deshalb auch von „Functional Eating“. „Mit seinem bilanzorientierten Konzept ist ‚Functional Eating’ auf unsere in dieser Zeit so ungemein individuellen Bedürfnisse zugeschnitten, die sich zudem schnell ändern können“, verlautbart der Wissenschaftler.
Nochmal zurück zur Natur: Gerade in unseren natürlichen Nahrungsmitteln stecke eine faszinierende Vielzahl von Nähr- und Wirkstoffen, die im Stoffwechsel auf tausenfache Weise interagierten und zahlreiche Degenerationsprozesse sowie Krankheiten von Diabetes bis Krebs verhinderten.
„Wir wissen heute ziemlich genau, was in den einzelnen Lebensmitteln steckt, welche Substanzen wir – theoretisch – bei negativem Stress oder für die Konzentration brauchen, für Sport und auch für die Liebe. Wichtig ist eben die richtige Kombination. Und der Zeitpunkt der jeweiligen Nahrungsaufnahme.“
Lindschinger ist in seinem Element. Sein umfangreicher Vortrag ist so richtig in Fahrt gekommen, oder vielmehr er mit ihm. Er grenzt jetzt das Functional Eating vom Functional Food ab. Das seien an sich völlig „normale“ Lebensmittel, die künstlich „veredelt“ sind, das heißt, ihnen werden Extra-Dosen von Vitaminen, Spurenelementen und Ballaststoffen hinzugefügt – auch synthetisch hergestellte.
Der Bedarf an Functional Food ist groß und auch durchaus gegeben. Denn sehr viele unserer Lebensmittel sind ohne Zweifel qualitativ schlechter geworden, haben viel weniger Nährstoffe als früher. Weil die Böden ausgelaugt sind, zu früh geerntet und / oder zu lange gelagert wird. Hinzu kommen Pestizide und Kunstdünger. So habe zum Beispiel Obst nachweislich enorm an Gehalt eingebüßt, manche Äpfel seien zur weitgehenden Vitaminarmut heruntergezüchtet.
„Genau diese Zusatzstoffe braucht man nicht, wenn man sich auf Functional Eating einlässt,“ verspricht der Steierer. “Denn da hat man zum Beispiel alle 21 bekannten lebensnotwendigen Nährstoffe in natürlicher Form verfügbar.“
Wieder sind wir beim lebenslangen Spezialistentum durch unseren Beruf angelangt. Diese Diversifizierung veranlasste den Forscher-Arzt und den Chefkoch, das bedarfsorientierte Functional Eating in sieben (Bedarfs-)Säulen aufzuteilen: Balanced, Beauty, Power, Soul, Brain, New Food und Erotic Food.
„Power Food zum Beispiel ist für Sportler oder Leute konzipiert, die viel körperlich arbeiten. Entprechend sind zum Beispiel Pasta mit viel Kohlehydraten, Hülsenfrüchte, Bananen, Rindfleisch und Sonnenblumenkerne angebracht“, erklärt Lindschinger. Brain Food für „den Denker“ setzt unter anderem auf Weizen, Spinat, Datteln, Milch und Nüsse. Und Soul Food als Stress-Ausgleich enthält Hafer, Johanniskraut-Tee, Honigmelonen, Geflügel und Leinsamen.
Passende Gerichte zu diesen drei Säulen sind zum Beispiel Vollkornnudeln mit Hühnerbruststreifen und Parmesankäse (Power), Spinatcreme-Suppe mit Chili-Öl und pochiertem Hühnerei (Brain) und Heilbutt-Filet auf Kürbis-Ingwer-Gemüse (Soul).
New Food ist vegetarisch ausgerichtet, Balanced Food schließlich so etwas wie ein Dach: Es enthält so ziemlich alles, ist deshalb besonders ausgewogen, „balanced“ eben.
Entscheidend ist, so Lindschinger, dass jede der sieben Säulen letztlich alle wichtigen Nährstoffe in ausreichendem Maße liefert, inklusive Vitaminen, Mineralien, Spurenelementen etc. Dafür sorge das wissenschaftliche Back-up des Konzepts. „Wenn man weiß, in welchen Nahrungsmitteln welche der 21 Nährstoffe enthalten sind und in was für einem Umfang, hat man eigentlich unendlich viele Kombinations-Optionen“, schwärmt der Doktor. „Man muss halt schauen, welche Säule auf einen zutrifft und welche Nährstoffe man infolgedessen besonders braucht. Dann kann man wählen, was man essen soll.“
Die Rezepte in dem großformatigen, ästhetisch konzipierten Buch sind vergleichsweise einfach gehalten. Die meisten der Zutaten sind ohne viel Aufwand erhältlich, der Zeitaufwand fürs Kochen hält sich in realistsichen Grenzen. „Die meisten Menschen haben heute nun mal eher wenig Zeit“, sagt der Koch, „und das wollten wir bei unseren Vorschlägen berücksichtigen.“
Aufwändiger und – bei aller Gesundheit - viel opulenter fallen die geschaffenen Kulinaria dort aus, wo Functional Eating zum ersten Mal in größerem Umfang umgesetzt wird: in einem der Restaurants der Fünf-Sterne-Luxus-Herberge „Mardavall Hotel & Spa“ auf Mallorca. Dort wird auf sehr hohem Niveau realisiert. Der Luxus ist deutlich größer als bei den „Alltags“-Vorschlägen in dem Buch.
Was sofort auffällt, ist, dass auf separat wählbare Vor- und Nachspeisen verzichtet wurde. Vielmehr sind diese fest vorgegebene Bestandteile des jeweiligen Menüs, unterschiedlich je nach Säule. Damit die ausgeglichene Nährstoff-Zufuhr auch auf höchstem Genuss-Niveau erhalten bleibt.
Denn auch dort oben geht es um nichts anderes als das, was dereinst Paracelsus so formuliert hat: „Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein.“