Eigentlich ist ja der frühere Papst „Schuld“, dass aus einer fast 900-jährigen Tradition ein Hit wurde. Als nämlich Benedikt XVI. 2007 Stift Heiligenkreuz südlich von Wien besuchte, bat er die Mönche, mit ihm den Choral zu singen und zu beten. Und als dann wenige Monate später die Musikfirma Universal in einem weltweiten Wettbewerb die schönsten gregorianischen Gesänge suchte, schickte Pater Karl Josef Wallner kurzerhand eine E-Mail samt Clip von eben jenem „Event“ an das Label. Dort war man begeistert. Und beschloss, sogleich die CD „Chant – music for paradise“ zu produzieren. Weil die Kantor Pater Simeon Wester und die 17 jungen Mitbrüder, die er für die Produktion auswählte, jedoch nicht in ein Studio gehen wollten, fanden die dreitägigen Aufnahmen in der Kreuzkirche statt. „Den Mitbrüdern war es wichtig, auch bei den Richtung Altar, Tabernakel und Kreuzreliquie zu singen“, erinnert sich Pater Wallner. „Und man hört es wohl auch an den Aufnahmen, dass in diesen Gesängen eine starke religiöse Intensität steckt. Diese Musik ist wie ein Proteinshake für die Seele …“
Dass es Menschen gibt, die genau das suchen, ahnte man. Mit dem Erfolg, der dann eintrat, hatte jedoch niemand gerechnet. Selbst Wallner spricht „von einem Wunder“. Binnen weniger Tage schoss die CD in den Billboardcharts ganz nach oben – und das international! Mit ihrem ersten Album schafften Zisterzienser als Österreicher sogar, was vor ihnen nur Falco und DJ-Ötzi erreicht hatten: In die Top-Ten-Pop-Charts von England zu kommen! Nur folgerichtig, dass Einladungen zu (Fernseh-)Shows folgten. Sogar bei „Wetten, dass …?“ traten die Mönche auf. Und 2009 gab es auch noch einen ECHO-Classic-Award für die Mönche. Mit den Einnahmen aus den CD-Verkäufen finanzierte man die Ausbildung von Mitbrüdern aus Asien und Afrika. 2012 legte die Heiligenkreuzer dann mit einer zweiten CD nach – „ Amor et Passio “ –, diesmal jedoch gründete man selbst ein Label. „Ursprünglich hatten wir diese CD nur für den Verkauf im Klosterladen geplant. Doch dann bekamen wir auch dafür in Österreich Platin!“, erzählt Wallner.
Zisterzienserpater Karl Josef Wallner, der auch Professor für Dogmatik und Sakramententheologie und Rektor der Päpstlichen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz ist, gilt als einer der bekanntesten und aufgeschlossensten Ordensmenschen. Es sei „schon cool, wenn man auf der Straße geht und die Leute einen grüßen oder sich die CDs signieren lassen“, gibt er zu. Dennoch ist er froh, dass sich im Kloster selbst „überhaupt nichts verändert hat. Wir beten weiterhin treu und verborgen. Wir halten das Schweigen. Alles ist so wie immer, aber vielleicht sind wir dadurch frommer geworden. In den letzten Jahren ist mir bewusst geworden, welche Dimension an Kraft und des Apostolats in dem steckt, was wir hier leben.“
Das zeigt, dass Wallner vor allem eines ist: mit ganzer Seele Mönch. Als er mit 16 Jahren zum ersten Mal Stift Heiligenkreuz besuchte, das gern als mystisches Herz des Wienerwalds bezeichnet wird und in dessen Nähe er aufgewachsen war, faszinierte ihn das klösterliche Leben freilich noch nicht wirklich. „Ich stamme zwar aus einem gläubigen Elternhaus, stand aber eher oberflächlich und distanziert zum Glauben“, erinnert sich der heute 50-Jährige. Erst durch eine Jugendgruppe, zu der er mit Anfang 17 stieß, kam er zum Glauben. „Anfangs bin ich dort nur der Mädchen wegen hingegangen“, gibt er lachend zu, „aber der liebe Gott hat es so gefügt, dass ich dort das Wichtigste gelernt habe: zu beten und in eine persönliche Beziehung mit ihm einzutreten.“ So wuchs auch der Wunsch in ihm, Priester zu werden. Zunächst damit überfordert, weil das so gar nicht zu seinem bisherigen Lebensplan passte, folgte er dann doch dem Ruf. Und noch vor seinem 19. Geburtstag wurde er als Mönch eingekleidet.
Noch schwerer fiel ihm die Entscheidung für ein konkretes Kloster. Die Wahl fiel schließlich auf Stift Heiligenkreuz – doch nicht jeder konnte sie auch nachvollziehen. So warnte etwa Wallners Heimatpfarrer: „Du, geh dort nicht hin, die sterben aus, die beten Latein und die haben gregorianischen Choral. Das ist heute nicht mehr in.“ Doch der junge Mann ließ sich davon nicht beirren. Und er hat es bis heute nicht bereut: „Der ehemalige Papst Benedikt XVI. hat einmal gesagt, das Stift sei ein Ort der Kraft. Das stimmt. Heiligenkreuz ist das Kloster, das ich liebe und das mich bis heute begeistert“, sagt er. Wohl auch, weil der Unkerrufer von einst nicht Recht behalten hat. Im Gegenteil: „Wir sind das jüngste und größte Kloster in Mitteleuropa mit 87 Mönchen und einem Altersdurchschnitt von 47 Jahren. Und wir haben eine lebendige Jugendseelsorge, die hunderte Jugendliche anzieht.“
Und nicht nur die Jungen kommen in Scharen. Das Zisterzienserkloster mit der vollständig erhaltenen Anlage aus dem Mittelalter, der romanische Abteikirche samt Kreuzgang, dem gotischen Brunnenhaus und dem prachtvollen barocken Hof ist ein beliebtestes Ausflugsziel. Vielleicht auch, weil Heiligenkreuz eben nicht bloß ein Stift ist, sondern ein Panoptikum von Kunst, Kultur und Mystik. Wo sonst kann man dabei zuhören, wie die feierliche Liturgie und der gregorianische Choral gepflegt werden. Und schließlich lauscht man hier nicht nur Mönchen, sondern echten „Popstars“. Es sind in diesem Kloster aber auch noch andere kinotaugliche Geschichten geschrieben worden. Florian Henckel von Donnersmark etwa hat sich zeitweise hinter die alten Mauern zurückgezogen und das Drehbuch für den Oscar-prämierten Film „Das Leben der Anderen“ verfasst. Er ist der Neffe des Abts und auch dafür verantwortlich, dass es in Heiligenkreuz mittlerweile einen Fitnessraum gibt.