„Um es gleich vorweg zu sagen: Wenn Sie an Sodbrennen, also an einer Übersäuerung des Magens, leiden, werden Sie vorerst nicht den großen Erfolg haben – zumindest nicht in der kurzen Zeit, in der Sie Ihre Muskeln und Zellen entsäuern. Was sich wiederum nachmessen lässt.“
Das sagt Ferdinand Thoma, Chef des Wellness-Hotels Auerhahn am Schluchsee im südlichen Schwarzwald. Thoma ist davon überzeugt, dass ein ausgeglichener Basen-Säurehaushalt des Körpers eine zentrale Voraussetzung ist für Energie und auch bereits fürs Wohlbefinden. Um dieses Gleichgewicht zu erreichen, sei allerdings meist ein gründliches Entsäuern des Körpers nötig.
Denn nicht nur, dass unsere industriell verarbeiteten Lebensmittel eher arm sind an energiereichen Mineralstoffen, Spurenelementen und anderen Vitalstoffen: Viele dieser Nahrungsmittel, aber auch Genussmittel und Medikamente häufen zusätzlich Gifte, Schadstoffe und jede Menge Säuren in umserem Körper an. Kommen dann noch in beliebiger Kombination physische Überanstrengung, Stress, Ärger und Angst hinzu, werden wir vollends sauer. Dagegen bietet man im „Auerhahn“ ein allerdings nicht gerade billiges Rundum-Programm an, die Basen-Kur.
Die Nahrungszuführung hat es in sich. Während es am Abend des Ankunfttags noch ein vergleichsweise überschaubares vegetarisches Menü gab, sehen wir uns beim Frühstück als Entrée einer klaren Gemüsebrühe mit Gemüseeinlage gegenüber – gut gesalzen, denn, so Thoma, „das füllt zum einen den über Nacht gesunkenen Salzhaushalt auf“ und zum anderen sei hier Salz ohne Beimischung im Spiel, „also zum Beispiel ohne Aluminiumhydroxid, das die Rieselfähigkeit des Salzes verbessert“.
Des weiteren stehen diverse Brote von ausgesprochen herzhafter Machart und unter anderem geläuterte Butter zum morgendlichen Verzehr. Aber auch Käse und Wurst und Fichtenwald-Honig.
Überhaupt spielt die Fichte eine große Rolle im „Auerhahn“ – eigentlich kein Wunder, sind wir doch von dieser Baumart umzingelt hier am Schluchsee. Thoma ist von der heilbringenden Wirkung der Fichtennadeln überzeugt und arbeitet sie deshalb in Lebensmittel (zum Beispiel in Tees oder in sein selbstgebrautes Bier) ebenso ein wie in Tinkturen und andere Mittel „zur äußeren Anwendung“.
Die Nadel-Affinität teilt denn auch Heinrich Till, Bio-Bauer im nächsten Tal, der allerdings mental keineswegs hinterm Berg zu leben scheint. Der 50-Jährige hat einen ausladenden Hof mit reichlich vorhandenen und viele Freiheiten genießenden Kühen, Schweinen und Ziegen und legt einem stets gerne die Demeter- und nebenbei auch seine Philosophie dar. Er versorgt unter anderem den „Auerhahn“ mit Käse (eine Sorte darunter mit, ja genau, mit Fichtennadeln), Wurst und Fleisch.
Womit klargestellt ist, dass „basisch“ nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit vegetarisch. Zwar empfiehlt Thoma, der in Lebensmittelchemie ebenso firm zu sein scheint wie als (angehender) Heilpraktiker, grundsätzlich die Vermeidung säurebildender Speisen, zu denen neben tierischen Milchprodukten, Zucker und Weißmehl eben auch Fleisch und Wurst zählten.
„Aber das alles ist auch eine Frage, wie stark sich im Körper Säuren ‚niedergelassen’ haben, anders gesagt: wie sauer der jeweilige Mensch ist“, erklärt Thoma. Das wiederum misst ein Gerät namens Prefit Body Scan, optisch eine Mischung aus Kardio-Messgerät und Lügendetektor, der wir zunächst Misstrauen entgegenbringen.
Aber wir staunen richtig, als wir mit den schriftlichen Messergebnissen dieses Körper-Scanners konfrontiert werden. Der Wiederkennungswert in den Auswertungen ist nämlich hoch: Wir erfahren einmal mehr einiges über unsere körperlichen Schwachstellen, etwa tendenziell verspannte Muskelpartien oder gefährdete Punkte – und können nur nicken: „Ja, das stimmt, da zwickt’s.“ Das heißt dann „konstitutionelle Muskelanalyse“ oder „Body-Mass-Index“. Und gibt Hinweise auf geeignete Trainingszeiten und –intensitäten (u. a. die ideale Pulsfrequenz).
Aber eben auch der Säure-Basenhaushalt wird hier eruiert – und führt zu individuellen Ernährungshinweisen. Kartoffeln, Gemüse, Kräuter, Keime und Sprossen seien gut für mich, auch Beeren und Pilze. Manches Obst und Hülsenfrüchte hingegen – obwohl an sich ebenfalls basenbildend und somit automatisch säurebindend – soll ich einschränken. Aha. Nicht genug hingegen könne ich von Kräuterteees und dem reichlich feilgebotenen nanodynamisch bearbeiteten Wasser zu mir nehmen. Wir finden, dass es normales Leitungswasser auf die Dauer auch tun muss.
Und natürlich das Basenpulver, eine in Wasser aufzulösende Komposition des Hausherrn mit genau indizierten Ingredienzen. Das schmeckt nicht gut, und wir können nur hoffen, dass unser “Geschmacksopfer” auch was bringt.
Für Säule zwei, Bewegung, sorgt zum Beispiel ausgedehntes Nordic Walking (auch bei herbem Frost), und mit den Behandlungen gelangen wir wieder mehr in den traditionellen Wellness-Bereich mit Wassergymnastik, Saunieren, vielfacher (Entsäuerungs-)Massage, Solegrotte und vielem mehr. Ach ja: Eher traditionell ist das Bürsten des Körpers – mit einer veritablen Wurzelbürste. Zumindest fühlt sich diese Prozedur gut an.
Also gut: Der Stoffwechsel, die Lymphe und was weiß ich noch alles kommen mit dieser Kur in Schwung und entsäuern, haben wir gesagt gekriegt. Die Zellen, erinnern wir uns. Wir spüren das nach knapp drei Tagen noch nicht wirklich. Aber messbar ist es, zumindest mittels der handelsüblichen pH-Stäbchen, die uns via Urin tatsächlich anzeigen, dass wir deutlich weniger sauer sind.
Was ich indes schon spüre: kaum mehr Sodbrennen und eine plötzlich von tiefster Verachtung geprägte Einstellung gegenüber Süßigkeiten. Lieber ein Apfel. Erstaunlich. Möge es doch bitte anhalten!