„Das ist meine Lieblingspiste und eine der schönsten Abfahrten im Alpenraum.” Immer wieder kommt der ehemalige Skirennläufer Bernhard Russi in seinen Geburtsort Andermatt südlich des Vierwaldstätter Sees, um vom knapp 3000 m hohen Gemsstock auf der nach ihm benannten Strecke in seiner unnachahmlich eleganten Art hinunterzugleiten bis an den Ortsrand. Heute ist der Olympiasieger und Weltmeister von Sapporo 1972 ein gefragter Mann. Nach dem Rennsport hat er sich als Pistenbauer einen Namen gemacht; im Schweizer Fernsehen gilt er als anerkannter fachmännischer Kommentator bei Weltcuprennen.
Andermatt, auf 1444 m gelegen, gehört zu den schneesichersten Wintersportorten der Alpen. Und hat mit dem Gemsstock nicht nur wegen des Berhard-Russi-Runs, sondern vor allem wegen der unzähligen Tiefschneevarianten in alle Richtungen einen Paradeskiberg. Allerdings muss man Geduld haben, um hinaufzukommen. Die 18 Jahre alte Seilbahn ist vor allem in der Hochsaison hoffnungslos überlastet. Und auch die drei Schlepplifte im Skigebiet unter dem Gipfel gehören nicht gerade zu den modernen Aufstiegshilfen.
Doch im kleinen Ort Andermatt gehen die Uhren anders. Die Aktionäre der Bergbahn, die Hoteliers und Appartement-Vermieter waren lange Jahre mit dem Ergebnis zufrieden. Die Frage nach Modernisierung stellte sich nicht. Dies war durchaus nicht nur von Nachteil. Andermatt hat so das Gesicht eines urgemütlichen Bergdorfs mit engen Gassen und dick verschneiten Holzhäuser bewahren können. Und die Gäste, die jedes Jahr kamen, waren zufrieden. Doch insgeheim blickten viele Einheimische in die moderne Skiwelt nach draußen mit ihren Hochgeschwindigkeitsliften, modernen Wellness-Hotels und schicken Geschäften; immer mehr Einheimische zogen weg.
Es hätte wohl noch lange Jahre gedauert, bis sich etwas geändert hätte. Wenn da nicht eines Tages der Ägypter Samih Sawiris aufgetaucht wäre, der nach einem geeigneten Baugrund in den Bergen suchte, um sich seinen Traum von einer großzügigen Urlaubsanlage im Alpenraum zu erfüllen. Der Milliardär und Gestalter moderner Ferienresorts wie El Gouna am Roten Meer fand in Andermatt, was er suchte - ein weites Gelände, das kurz zuvor vom Schweizer Militär geräumt worden war.
Auch wenn das neue Resort in erster Linie Sommergäste anlocken soll, so setzt Peter Heinzer, Direktor der Andermatt Gotthart Sportbahnen, wie der gesamte Ort auf die Hilfe von Samih Sawiris. Das milliardenschwere Tourismusprojekt, das neben Hotels, Ferienwohnungen und Ferienhäusern auch ein Wellnesszentrum sowie einen 18-Loch-Golfplatz vorsieht, soll auch für den Wintertourismus zum Goldenen Rettungsanker werden.
Es herrscht Aufbruchstimmung im Ort. Die meisten Bürger stehen hinter dem Projekt. Die Abwanderung scheint gestoppt. Der Boden in Andermatt wird wertvoller, die Grundstückspreise steigen. Der Kanton Uri und Andermatt erhoffen sich von dem Projekt rund 2000 neue Arbeitsplätze. Die Urner Kantonalbank hat sich bereits in der Startphase engagiert. „Das Tourismusprojekt und die daraus entstehenden weiteren Projekte sind ein wichtiger strategischer Schwerpunkt unserer Bank,” erklärt Direktor Peter Zgraggen. Und als Leiter der neu gegründeten Firma Andermatt Alpine Destination Company (AADC) ist Benno Nager engagiert worden, ein waschechter Andermatter. Im Herbst 2008 sollen die Bagger anrollen.
So viel Glück hat der zweite attraktive Wintersport der Zentralschweiz mit einem Paradeskiberg nicht. Engelberg am Fuß des mächtigen 3238 Meter hohe Titlis, das im Jahr 1120 von Benediktinermönchen gegründet worden war, muss es ohne Milliardenhilfe von außen schaffen, veraltetet Liftanlagen zu modernisieren, um den Anschluss nicht zu verlieren. Im Skigebiet rund um Titlis und Jochstock ist dies teilweise gelungen. Vor allem die 1992 in Betrieb genommene, erste drehbare Luftseilbahn der Welt, die Titlis Rotair, sorgte für Schlagzeilen.
Dass solche aufwendigen Investitionen Sinn machen, zeigt das Geschäftsjahr 2006/2007, in dem die Bergbahnen Titlis Rotair den Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 21% steigern konnten. Und die Aussichten für das laufende Geschäftsjahr 2007/08 werden von Geschäftsführer Albert Wyler als glänzend beurteilt. Begründet wird der Optimismus mit der Schneesicherheit und den zunehmenden Gruppenreisen, vor allem aus Fernost. Viele Asiaten haben Engelberg als Feriendestination entdeckt. Dies spürt man, wenn man beispielsweise im Hotel Terrace seinen Urlaub verbringt.
Diese Hotel, ein mächtiges Gebäude, das 2005 seinen 100. Geburtstag feierte, erinnert wie viele andere Hotelkomplexe mit schönen Parkanlagen an die Belle Epoque Mitte des 19. Jahrhunderts, während der Engelberg als Luft- und Klimakurort geschätzt wurde.
Wer zum Skifahren nach Engelberg kommt, muss - wie in Andermatt - Geduld mitbringen. Rund eine Stunde dauert es, bis man den Titlis-Gipfel und somit den Ausgangspunkt für teilweise spektakuläre Gletscherabfahrten erreicht hat. Daran ändert auch die Titlis Rotair auf dem letzten Streckenabschnitt der drei Bergbahnsektionen nichts. Am Wochenende, wenn der Andrang besonders groß ist, empfiehlt es sich, auf das Pistenrevier am Jochstock auszuweichen, wo teilweise moderne Hochgeschwindigkeitssessellifte für eine zügige Fahrt nach oben sorgen.
Noch spannender wird es, wenn die kühnen Zukunftspläne umgesetzt sind - eine Liftverbindung zu den Pisten der benachbarten Skigebiete von Melchsee-Frutt und Meiringen-Hasliberg. Dann würde Engelberg mit mehr als 200 Pistenkilometern zu den großen Skistationen der Alpen gehören.
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