Fasten zu können, das heißt eine gewisse Zeit ohne Nahrung auszukommen, ist eine natürliche Anlage von Menschen und Tieren. Wenn im Winter auch die Natur fastet und keine Früchte heranreifen, zehren viele Tierarten von ihren Körperreserven und überbrücken so die nahrungsarme Jahreszeit. Den Fastenweltrekord hält dabei der Königspinguin, der bis zu sechs Monate ohne Nahrung überleben kann.
In vielen Kulturen ist das regelmäßige Fasten ein fester Bestandteil im Jahreszyklus: Im Christentum das traditionelle Fasten vor Ostern, im Judentum der wöchentliche Sabbat, in der islamischen Kultur der jährliche Fastenmonat Ramadan. Bei indianischen, afrikanischen oder australischen Volksstämmen fasten die Stammesführer rituell, wenn sie für ihre Sippe wichtige Entscheidungen treffen müssen und ihre Heiler und Schamanen verordnen Fasten bei schweren Krankheiten.
In unserer, von Konsum und Reizüberflutung geprägten Zeit, gewinnt das Fasten zunehmend als wichtiges Instrument der Psychohygiene an Bedeutung - zur Vorbeugung und Heilung körperlicher wie auch seelischer Krankheiten. Es kann bei akuten wie bei chronischen Infektionen, bei Allergien, sowie bei Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden. Bei gesunden Menschen dient das Fasten hauptsächlich der Entgiftung und regt an, bewusster mit den Ess- und Lebensgewohnheiten umzugehen.
Dr. Otto Buchinger (1878 - 1966) prägte 1935 das Wort “Heilfasten” in Anknüpfung an die Tradition des religiösen Fastens. Darunter verstand er eine Fastenmethode, die neben der körperlichen Dimension auch die psychisch-seelische und - vor allem beim Fasten in der Gruppe - die soziale Komponente berücksichtigt. „Auch in der jüdisch-christlichen Tradition wurde Fasten nie isoliert durchgeführt, sondern ging immer mit Beten (spirituelle Dimension) und Almosen geben (mitmenschliche Dimension) einher.“, so Francoise Wilhelmi de Toledo, verantwortlich für das medizinische Konzept der Buchinger Kliniken. Im Laufe der Zeit verlor das religiöse Fasten vor Ostern mehr und mehr an Bedeutung, zumal die Menschen früher oft auch zwangsweise fasten mussten.
Um die Jahrhundertwende entstand eine neue Bewegung, die das Fasten als freiwilliger und therapeutischer Nahrungsverzicht bewusst einsetzte. Franz Xaver Mayr aus Österreich und Otto Buchinger aus Deutschland waren die führenden Fastenärzte im deutschsprachigen Raum. Sie entwickelten eigene Methoden und führten das stationäre Fasten in Sanatorien ein. Seit etwa 20 Jahren gibt es auch das Fasten für Gesunde – zum Beispiel als Fastenurlaub oder im Alltag - und auch das religiöse Fasten wird wieder beliebter.
Dr. Otto Buchinger konnte als 40-jähriger eine eigene akute Gelenkentzündung durch 19-tägiges Fasten heilen und einige Jahre später ein von der Schulmedizin als fast therapieresistent betrachtetes Gallenleiden. Angeregt durch diese positiven Erfahrungen nahm er das Heilfasten in seine ärztliche Arbeit mit auf. Seine Heilfastenmethode wurde inzwischen durch drei Generationen von Ärztinnen und Ärzten stetig weiterentwickelt.
Das Buchinger Heilfasten ist eine ganzheitliche Methode, die sowohl die medizinische, wie auch die psychosoziale und die spirituelle Dimension des Menschen berücksichtigt. Fasten hilft zunächst dem Individuum und seinem Körper, eine fastende Gemeinschaft erlebt ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und der Zugang zu spirituellen Erfahrungen wird erleichtert.
Während der Fastende auf feste Nahrung verzichtet, werden die Körperzellen aus dem Fettgewebe und den Vitamin- und Mineralstoffreserven des Körpers versorgt. Geringe Mengen an körpereigenem Eiweiß werden auch verbraucht, was aber der Entschlackung pathologischer Eiweißstrukturen dient.
Beim Buchinger Heilfasten stehen Gemüsebrühe, frisch gepresste Obst- und Gemüsesäfte, etwas Honig sowie reichlich Kräutertee und Wasser auf dem Plan. Diese Versorgung zündet den Fastenstoffwechsel. Die geringen Kohlenhydratmengen regen die Fettverbrennung an und helfen, dass nur wenig körpereigenes Eiweiß verbraucht wird. Vitamine und Mineralien stärken den Organismus. Der Fastenstoffwechsel sorgt dafür, dass der gesamte Organismus gereinigt wird, Risikofaktoren für Herz und Gefäßerkrankungen wie Cholesterin, Blutfettwerte, Blutzucker und Blutdruck sich normalisieren. Trotz eines Anstiegs von Harnsäure und freien Fettsäuren im Blut, wird das Bindegewebe insgesamt entsäuert. Neben dem Fettabbau und der Gewichtsreduktion gehen chronische Entzündungen, zum Beispiel von Gelenken oder des Magen-Darm-Traktes, zurück. Auch die Stimmung harmonisiert sich, da mehr Glückshormon für längere Zeit zur Verfügung steht. Dabei wird der Fastende sensibler, nimmt differenzierter wahr, träumt intensiver und handelt kreativer.
Das Fasten in der Buchinger Klinik wird von einem multidisziplinären Team betreut und beinhaltet neun therapeutische Bausteine:
Der Fastenprozess selbst verläuft in den vier Etappen Planung, Vorbereitung, das Fasten selbst und das Fastenbrechen mit der Aufbauphase. Die Heilkraft des Fastens kann sich am besten entfalten, wenn sie von folgenden sieben Säulen getragen wird: Ruhe und Bewegung in einem ausgewogenen Verhältnis, Förderung der Ausscheidungsvorgänge (Darm, Niere, Lunge, Haut, Leber), Hilfsmethoden, Betreuung, Individuelle Fastenzusätze und Nahrung für die Seele.
Das therapeutische Team will beim stationären Buchinger Heilfasten die Autonomie des Fastenden fördern, damit er Verantwortung für seine Gesundheit übernimmt. Die optimale Wirkung entfaltet das Fasten bei einer Dauer von zwei und vier Wochen, je nach individueller Befindlichkeit können aber auch kürzere oder längere Fastenperioden sinnvoll sein.
Richtiges Fasten verbessert die Stimmung und das Selbstwertgefühl. Untersuchungen des Neurobiologen Gerald Huether zeigen, dass beim Fasten sogar die Wirkung des „Glückshormons“ Serotonin verstärkt wird, das im gesamten Nervensystem für Harmonisierung sorgt. Dagegen sinken die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol nach kurzem anfänglichem Anstieg unter den Ausgangswert, solange das Fasten freiwillig durchgeführt wird. Ein Beweis dafür, dass die innere Einstellung eine wesentliche Rolle spielt. Otto Buchinger beschreibt die Wirkungen folgendermaßen: „Eine Art Lösung und Lockerung des verkrampften seelischen Gefüges ist erkennbar, eine Klärung der Lage und eine höhere Feinfühligkeit. Das analytische Denken ist anfangs erschwert, die Intuition vertieft und erleichtert.“ Das Fasten kann positive seelische Stimmungen hervorrufen, die das innere Wachstum anregen. Francoise Wilhelmi de Toledo zählt das Fasten daher auch „zu den Methoden, die heute unter dem Begriff „vision quest“ (Suche nach der eigenen Lebensvision) eingestuft werden.“
Fasten kann bei fast allen Beschwerden, besonders jedoch bei chronischen Erkrankungen, eingesetzt werden. Als präventive Maßnahme eignet es sich zum Beispiel bei der Senkung von Risikofaktoren bei Übergewicht, Stress, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck und Rauchen. Als Therapie kann es bei Herz- und Gefäßerkrankungen wie Arterienverkalkung, Herzinsuffizienz oder Durch-blutungsstörungen Abhilfe verschaffen. Ebenso bei Rücken- und Gelenk-erkrankungen, Erkrankungen des Verdauungssystems, chronischen Leber-erkrankungen und vielen weiteren Erkrankungen wie Migräne, Allergien oder Akne.
Dagegen ist es kontraindiziert bei extremem Untergewicht, Magersucht, dekompensierter Schilddrüsenüberfunktion, Störungen der Gehirndurchblutung, fortgeschrittener Leber- oder Niereninsuffizienz, Schwangerschaft und Stillzeit.
Eine besondere Betreuung ist erforderlich bei Suchterkrankungen, Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren, koronaren Herzerkrankungen, Netzhautablösung, Psychosen, Diabetes mellitus Typ 1 und bösartigen Krebserkrankungen.
Klinik Buchinger am Bodensee
Fachklinik für Heilfasten, Psychosomatik und Naturheilverfahren
Klinik Dr. Otto Buchinger
Klinik für Naturheilverfahren und Ganzheitsmedizin
Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung e. V.
Literatur: Dr. med. Francoise Wilhelmi de Toledo: „Buchinger Heilfasten: Ein Erlebnis für Körper und Geist“. TRIAS 2003.