Blickt man heute vom Hotel Adria in Obermais hinunter auf Meran, dann taucht man ein in das quirlige Leben einer der bekanntesten Städte Südtirols. Beliebt bei Italienern, Österreichern und dem Rest der Welt gleichermaßen. Sie alle kommen wegen der besonders guten Meraner Luft, zum Kuren, Golfen, Wandern und im Herbst vor allem zum Törrgelen (Torrgl = Weinpresse). Denn in dieser fünften Südtiroler Jahreszeit feiert man überall dort, wo Wein und Kastanien gleichermaßen gut gedeihen, die Ankunft des Nuier, des neuen Weines. Nach alter Südtiroler Tradition laden die Bauern daher in der warmen Herbstsonne zur Verkostung auch des süßen Mosts (Sußer) unter bunt gefärbten Kastanienbäumen. Gereicht werden zum Törrgelen frische geröstete Kastanien, Speck, Kaminwurzen, Käse, Schüttelbrot und natürlich der neue Wein.
Wir haben uns, nicht nur, aber auch deshalb, aufgemacht in die Kurstadt an der Passer. Abgestiegen sind wir dort, wo heute das Herz der Stadt pulsiert, einen Steinwurf vom Sissi-Denkmal (in Meran konsequent mit Doppel-s geschrieben) entfernt, im luxuriösen Park Hotel Mignon. Schon beim Betreten des liebevoll renovierten Hauses inmitten eines üppigen Gartens, spürt man sie: Jene Leidenschaft, die es braucht, um als Gastgeber zu begeistern. Und das versteht die Familie Glatt-Amort-Ellmenreich seit Generationen bestens. Früher waren die Gäste “kommod”, heute sind sie eher gestresst, zumindest bei der Ankunft. Was sich aber schnell ändert, gerät man erstmal in die Fittiche der Glatt-Amort’schen Damenriege. Irmgard, die Grand Dame des Hauses, lässt jede Boulevard-Journalistin erblassen, wenn sie von den Berühmheiten erzählt, die hier einst und immer noch absteigen. Von fürstlichen Damen, geächteten Literaten über weltberühmte Stars wie Maria Schell bis hin zu heutigen VIPs, vom Baden in Buttermilch bis zum reichlichen Genuss von Hochprozentigem - es gibt nichts, was das mondäne Park Hotel Mignon nicht schon gesehen hätte. Aber Namen dazu, nein, die erfährt man nur selten. Diskretion ist die höchste Pflicht guter Gastgeber!
Zenzi Glatt, die 2020 mit 105 Jahren verstarb, hinterließ Tochter Irmgard und Enkelin Sissi ein wohlbestelltes Luxushotel. Die gebündelte Frauen-Power kann man übrigens als Kunstfigur am Eingang zum Hotel bewundern. Im Inneren mischen sich Historie, Luxus und Genuss zu einer köstlichen Melange gesprenkelt mit mediterraner Leichtigkeit. Liebespaare, ob alt oder jung, können in den Suiten mit eigenem Dachterrassen-Whirlpool den Abstand zum Alltag ganz privat genießen und die Welt “da draußen” einfach mal für eine Zeit zu Zweit vergessen.
Meran heute, welch ein Unterschied zu dem verträumten Donau-Monarchie-Städtchen im 19. Jahrhundert. Die engen Altstadtgassen mit ihren Laubengängen künden noch immer davon. Beschaulich bummelt man über das holprige Kopfsteinpflaster, vorbei an mondänen Geschäften und zwischendrin blinkt die Vergangenheit in Form eines alten Kramerladens (auf Hochdeutsch würde man Tante-Emma-Laden sagen) doch immer wieder durch. Wo bekommt man sonst heute noch Nadeln, Knöpfe, Fäden oder Haushaltswaren aller Art eingeschachtelt auf weniger als 10 qm?
Gut 40.000 Einwohner zählt das von Bergen umsäumte und mit Palmen durchzogene Meran. Deutsch, italienisch und mitunter auch ladinisch werden nebeneinander gesprochen. Ein einzigartiger Mix aus Kultur, Sprachen, Bräuchen und köstlicher Küche hat sich tief ineinander verwoben und einen prachtvollen Gobelin daraus gewebt. Begonnen hat das Leben als Kurstadt aber eigentlich in Obermais. Dort residierte zu Sissis Zeiten der Hochadel der Donaumonarchie in prachtvollen Ansitzen, uralten Burgen und Schlössern. Aber auch Künstler, von Spitzweg bis Kandinsky, von Kafka bis Ezra Pound fühlten sich inmitten von Weinbergen und Streuobstwiesen bei rund gerechnet 300 Sonnentagen im Jahr äußerst wohl. Man kurte und wanderte ein wenig, aß gern und viel und sprach dem Wein meist schon ab Mittag reichlich zu. Die Kultur blüht in Meran dank zahlreicher Museen, Musikfestivals und kulturellen Veranstaltungen mit namhaften Künstlern über das ganze Jahr hinweg noch immer.
Die moderne, inmitten der Stadt gelegene Therme (bitte niemals an einem verregneten Montag besuchen!), gilt für viele Einheimische und Touristen als beliebtes Ziel, um sich im Spa-und Wellnessbereich nach Lust und Laune verwöhnen zu lassen. Wer gern wandert, findet in den sich rund um Meran ziehenden Waalwegen bequeme Ausflugsziele. Die schmalen Wege entlang der historischen Bewässerungskanäle wurden inmitten der Weinberge angelegt. Sie bieten Wanderern jeglichen Alters, auch mit Kinderwagen, in unterschiedlichen Längen und Schwierigkeitsgraden, beeindruckende Ausblicke auf Stadt und hoch aufragende Bergketten.
In Obermais, wo eine prachtvolle Jugendstil-Villa sich an die nächste reiht, wo Ansitze und Burgen so zahlreich sind, wie anderswo Einzimmer-Wohnungen, findet man die Wiege der Meraner Kur-Historie. Von hier oben blickte man aus luxuriösen Villen im 19. Jahrhundert hinunter auf das noch recht dörfliche Meran, in dessen Lauben zu Marktzeiten noch die Kühe muhten. Um 1840 gründete ein Dr. Mazegger mit seiner Kaltwasseranstalt das erste Heilbad dieser Art und legte damit den Grundstein für den später auch als Meraner Traubenkur bekannten Gesundheitsboom. Natürlich residierte auch Sissi in Obermais, u. a. sieben lange Monate zusammen mit ihren Töchtern Gisela und Valerie im Schloß Trauttmansdorff. Dessen prachtvolle Gärten sollte man sich keinesfalls entgehen lassen - sie stammen allerdings nicht aus dieser Zeit, sondern wurden erst in den zweitausender Jahren angelegt.
Für alle jene, die sich gerne mit Kultur und Architektur beschäftigen, für die gibt es in Meran bzw. in Obermais allerdings bis heute nur eine Adresse. Das Hotel ADRIA (zu Monarchiezeiten hieß es noch AUSTRIA). Nicht nur das in hellem Beige prunkende historische Gebäude, sondern vor allem sein Besitzer sind mehr als einen Besuch wert. Florian Ellmenreich (der zudem Ehemann von Sissi Amort ist) lebt die Geschichte dieses Traditionshauses mit all seinen zahlreichen Anekdoten und weiß diese mehr als spannend zu erzählen. Ein Tag reicht dafür nie und nimmer! Wer’s ganz romantisch mag, der darf sich in der Sissi-Suite ganz kaiserlich fühlen, durch den unterirdischen Gang in die einstige Villa Impériale spazieren und dort im ersten Indoor-Pool Südtirols plantschen oder sich im - nur im äußeren uralten - Aufzug von Stockwerk zu Stockwerk bringen lassen. Man kann aber auch gemütlichen am Hotel-Balkon sitzen und seine Blicke über Stadt und Land bis hinauf zu den Höhen der Texelgruppe schweifen lassen.
Zu all dem gesellt sich im Herbst das reizvolle Farbenspiel der Blätter gepaart mit noch immer mildem Klima. Es hält meist bis in den Dezember hin an, während die glasklare Luft Berge, Grate und Spitzen plastisch hervorhebt! Die Besucher erwartet zu den landschaftlichen Reizen auch eine Fülle von Aktivitäten und Veranstaltungen. Viele von ihnen stehen ganz im Zeichen des Genusses. Meran im Herbst genießen, bei einem Glaserl Rotem, dazu Speck, Käse, Schüttelbrot und ein paar Kastanien jausnen und sich fragen: Kann’s noch irgendwo schöner sein?
Die Recherche zu dieser Reise wurde unterstützt von den genannten Hotels Mignon und Adria, für deren Gastfreundschaft wir uns herzlich bedanken!
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