Dr. Olbertz, warum haben Sie sich für die Zahnmedizin entschieden?
Tatsächlich hatte ich damals die falsche Vorstellung, dass der Arbeitsbereich der Zahnmedizin überschaubar ist. Nur die Mundhöhle – so hatte ich mir das vorgestellt. Heute weiß ich, dass die Zahngesundheit mit der Gesundheit des Körpers Hand in Hand geht. Im Studium haben wir gelernt, dass Menschen, die ihre Zähne richtig putzen, auch gesunde Zähne haben. Aber ich hatte Patienten, die eine super Zahnpflege betrieben und trotzdem schwere Schäden an Zähnen oder Zahnfleisch hatten. Da kam schließlich die Frage auf: Bin ich noch auf dem neuesten Stand der Wissenschaft? Und so weitete sich für mich das Feld der Zahnmedizin immer weiter aus.
Was hat sich verändert?
Ich habe angefangen zu recherchieren und stieß schließlich auf die orthomolekulare Medizin. Diese geht davon aus, dass uns bestimmte Nährstoffe fehlen. In den letzten 25 Jahren ernähren wir uns ganz anders als zuvor. Industrieproduktion, Konservierungsmittel, Genmanipulation, chemische Veränderungen – das ist eine Kette ohne Ende. Das hat zur Folge, dass uns heute oft wichtige Nährstoffe fehlen, die wir eigentlich bräuchten, damit unser Körper sich selbst regulieren kann. Eine Mangelerscheinung im Körper macht sich oft im Mundraum bemerkbar.
Sind Mangelerscheinungen also der eigentliche Grund für Parodontitis?
Heute würde ich sagen ja. Mangel an Nährstoffen kann fatale Auswirkungen auf den Körper haben. Dieses Wissen ist eine große Chance für die Zahnmedizin. Wenn man richtig hinschaut und Labordiagnostik nutzt, kann man Defizite im Mund frühzeitig erkennen. So kann man verborgene Entzündungszustände des Körpers entdecken und verhindern, dass sie im zunehmenden Alter schlimmer werden. Denn älter werden heißt leider auch entzündeter werden. Und wenn der Zustand sich über Jahre verschlimmert, können Demenz, Schlaganfall, Infarkte, Herzerkrankungen und Diabetes die Folge sein. Leider scheinen die Betroffenen immer jünger zu werden. Wenn sich Menschen um ihren Nährstoffhaushalt kümmern würden, könnten sie sich einiges ersparen.
Sind Parodontalprobleme denn heutzutage vordringliche Themen in der Zahnarztpraxis?
Auf jeden Fall. Karies haben wir weitgehend im Griff, die Zahnpflege ist heute einfach besser. Das belegt auch, dass mangelhafte Zahnpflege nicht die alleinige Ursache für die parodontalen Erkrankungen ist, denn die Zahl der Patienten mit schwerer Parodontitis steigt kontinuierlich. Zahnpflege allein reicht eben nicht aus. Wir brauchen Ernährungsveränderungen. Hier können biologisch angebaute Nahrung, eine insgesamt ausgewogene Ernährung und der Verzicht auf Fertigprodukte helfen. Zusätzlich ist die Aufnahme von Vitalstoffen empfehlenswert.
Raten Sie Ihren Patienten zu Nahrungsergänzungen?
Ja. Bei Parodontitis empfehle ich zum Beispiel die bilanzierte Diät Itis-Protect. Mit der studienzertifizierten Kur kann man das Problem in den Griff bekommen. Wir arbeiten auch mit einer Ernährungstherapeutin zusammen und geben Tipps und Hinweise. Ein klassisches Problem ist der Mangel an Omega-3-Fettsäuren: Uns fehlt der Fisch auf unserem Speiseplan. Im pflanzlichen Bereich finden wir leider keinen Ausgleich. Omega-3-Fettsäuren sind aber Entzündungsmodulatoren, welche uns sehr fehlen, wenn wir sie nicht zu uns nehmen. Ein zweites weitverbreitetes Problem ist der Säure-Basen-Haushalt. Das dritte große Problem ist der Zucker, der in zu vielen Produkten steckt.
Ist man nicht verzweifelt, wenn Patienten mit Parodontitis kommen und sich schlecht ernähren?
Man wird eher traurig. Ich habe nämlich eine ganze Reihe von Patienten, die ich vor zehn, fünfzehn Jahren versucht habe zu überzeugen, und jetzt ist der Schlaganfall oder die Krebserkrankung da. Da fragt man sich: Hast Du damals die falschen Worte gewählt? Misserfolge treffen mich immer hart. Andererseits freue ich mich irrsinnig über die Erfolge.
Was muss passieren, um die Mundgesundheit der Bevölkerung zu optimieren?
Wir müssen ganz früh anfangen. Wir müssen Kindern schon klar machen, dass Pommes nicht auf Bäumen wachsen. Wir müssen wieder lernen, unser Essen selber zuzubereiten und nicht aufreißen, Zeitschaltuhr an, fertig.
Warum gibt es denn so wenige Ärzte, die das Problem ganzheitlich sehen?
Wir haben in der Parodontologie den Fehler gemacht, die systemische Komponente außer Acht zu lassen. Jetzt denken wir langsam um. Es ist schwer, festgefahrenes Wissen zu durchdringen und die Kollegen zu überzeugen, die davon noch nie gehört haben. Die verwechseln ganzheitliches mit esoterischem Denken. Glücklicherweise arbeitet die Grundlagenforschung in der Medizin uns zu, und alte Vorurteile werden langsam aufgeweicht.