Als Neuroplastizität bezeichnet man die Eigenschaft des Gehirns, durch Training veränderbar zu sein und es ist somit die notwendige Formel, um etwas zu erlernen. Mithilfe von Training lassen sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn verändern. Sie werden, ähnlich wie unsere Muskeln, je nach Training, stärker oder schwächer. Verständlich vorstellen lässt sich dies in Form eines “Trampelpfades”. Ein Weg also, der durch häufige Benutzung sich erst zu einem Weg und schließlich zu einer Straße entwickelt. Was aber in einer Richtung möglich ist, funktioniert leider auch gegenteilig. Je weniger wir diesen “Trampelpfad” nutzen, desto eher wächst er wieder zu und versandt schließlich wieder ganz. Unser Gehirn wickelt sich also wieder zurück und weiß immer weniger von dem mal erlernten!
Forscher an neuronaler Plastizität haben ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie sich die Kartierung der Hirnrinde durch das Erlernen eines Instruments verändert: “In Abhängigkeit zur Trainingsintensität vergrößern sich in der Hirnrinde die Repräsentationen der motorischen und sensorischen Areale der Hand, die das Instrument führt”.
Was wir bei Heranwachsenden als Selbstverständlichkeit ansehen, nämlich die Tatsache, dass sich unser Nervensystem nicht nur verändert, sondern sich auch auf veränderte Reize einstellen kann, trifft aber auch auf das erwachsene Gehirn zu. Denn auch in diesem findet neuronale Plastizität statt. Da unser Gehirn kein statisches Gebilde ist, kann es über die gesamte Lebensspanne hinweg immer wieder zu fortlaufenden Umbauprozessen kommen.
Unser Gehirn lässt sich also mithilfe von Neuroplastizität durch verschiedene Mechanismen reorganisieren. Dazu zählt die Modulation der Intensität bereits bestehender Verbindungen zu anderen Nervenzellen, wie der bereits erwähnte Trampelpfad zeigt. Je häufiger man ihn nutzt, desto leichter ist er passierbar. Aber die Reorganisation kann auch durch andere Mechanismus erfolgen. Dazu zählt beispielsweise die Ausbildung neuer Verbindungen mit anderen, umliegenden Nervenzellen durch kollaterale Aussprossung, also der Ausbildung neuer Synapsen. Dadurch entstehen, dank neuronaler Plastizität, neue Verbindungen zwischen Nervenzellen, die vorher gar nicht oder nur unbedeutend schwach vorlagen.
Beim Tinnitus liegt im Gehirn häufig ein abnorm verändertes Aktivierungsmuster vor. Viele der aktuellen wissenschaftlichen Publikationen zum Thema Tinnitus beschäftigen sich daher mit neuroplastischen Prozessen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse daraus ist, dass die Entstehung des Tinnitus durch fehlgeleitete Neuroplastizität im auditorischen Cortex begünstigt wird. Da die kartenähnliche Organisation (Kartierung) des auditiven Cortex nicht statisch, sondern plastisch, kann man daraus schließen, dass diese Kartierung sich durch äußere Einflüsse verformen kann. Mithilfe bildgebender Verfahren (funktionale Magnetresonanztomografie oder Magnetencephalographie) kann dieser Vorgang nicht nur nachwiesen, sondern auch darstellt werden.
Es liegt also auf der Hand, dass die neurowissenschaftlich motivierten Ansätze der jüngeren Tinnitustherapie darauf abzielen, diese Prozesse umzukehren und so das abnorme Erregungsmuster zu reduzieren, das mit dem Tinnitus einhergeht.
Bis die Forschung so weit ist, wird aber noch Zeit vergehen. Wer sich über Tinnitus fachlich informieren möchte, dem empfehlen wir die Tinnitus-App, die auch von den Krankenkassen erstattet wird.
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