Somnambulismus oder Schlafwandeln ist ein seltsamer, aber nicht seltener Schwebezustand zwischen Schlaf und Wachsein, den rund 7 Prozent aller Menschen meist aus der Kindheit kennen. Extrem selten sind hingegen Fälle, wo Schlafwandler Gewaltverbrechen (bis hin zu Tötungsdelikten) begehen. Kann man tatsächlich im Schlaf zum Täter werden?
Schlafwandeln tritt nur im langsamwelligen Nicht-REM-Schlaf, im Tiefschlaf, auf. Die Betroffenen gehen z.B. ins Bad oder an den Kühlschrank, kochen, putzen, fahren Auto usw., ohne sich dessen bewusst zu sein oder sich nach dem Aufwachen daran zu erinnern (mit dem Stand des Mondes, ob Neu- oder Vollmond, hat Schlafwandeln übrigens nichts zu tun). Gewöhnlich dauern solche Attacken einige Sekunden bis 30 Minuten.
Meist läuft alles ganz harmlos ab, doch in Ausnahmefällen können Schlafwandler auch höchst aggressiv werden. Bisher sind weltweit einige Dutzend Fälle von homicidal sleepwalking dokumentiert, wie es im Englischen heißt.
Dass jemand im Zustand des Schlafes planvoll handelt, einen anderen Menschen tötet und nach dem Aufwachen nichts mehr davon weiß, erscheint unglaublich, ist aber nach Auffassung von Psychologen und Gerichten nicht nur möglich, sondern tatsächlich geschehen. Der wissenschaftlich am besten belegte moderne Fall ist der des Kanadiers Kenneth Parks aus dem Jahr 1987, der 14 Meilen zum Haus seiner Schwiegereltern fuhr, eine Fensterscheibe einschlug, seinen Schwiegervater bewusstlos würgte und dessen Frau erstach. Auf der Polizeiwache erklärt er den Beamten, er befürchte, etwas Schreckliches getan zu haben, können sich aber an nichts erinnern.
Bekannt ist, dass Schlafwandeln eine erbliche Komponente aufweist und in bestimmten Familien gehäuft auftritt. Und inzwischen kennt man auch einige der Reize, die bei derart vorbelasteten Menschen eine Schlafwandel-Episode auslösen können: Dazu gehören Stress, Schlafmangel und plötzliche laute Geräusche – und all das konnte im Fall Parks nachgewiesen werden. Er wurde freigesprochen, auch deshalb, weil ihm jedes Motiv fehlte.
Dem Züricher Schlafforscher Claudio Basseti gelang das Kunststück, einen Schlafwandler während einer Attacke in einen Hirnscanner zu bugsieren und seine Hirnaktivität zu messen. Sein Schlafwandler zeigte keine Aktivität in Hirnregionen, die für zielgerichtetes Handeln zuständig sind, während emotionale Bereiche und solche, die Bewegungen steuern, aktiv bleiben. Das heißt, dass das Urteilsvermögen eines Somnambulen ausgeschaltet ist, seine Fähigkeit zum emotionalen Handeln hingegen nicht.
Übrigens gilt auch im deutschen Strafrecht, dass bei Somnambulismus „das Vorliegen von Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB nicht auszuschließen“ ist.
Wer mehr über seltene und ausgefallene Syndrome wissen möchte, dem empfehlen wir das Buch Die Frau, die ihren Mann für einen Doppelgänger hielt von Monika Niehaus
Schlaf