Was man schon lage weiß: Nähe, Zärtlichkeit und Sexualität sind eng mit dem seelischen und körperlichen Wohlbefinden des Menschen verbunden. Doch noch immer werden in der Therapie psychisch Erkrankter diese Aspekte kaum berücksichtigt. Und das, obwohl man längst weiß, dass die Krankheit selbst oder ihre Behandlung Auswirkungen auf die Bindungsfähigkeit oder das Liebesleben der Betroffenen haben. Die Fachzeitschrift Nervenheilkunde widmet sich dem Bedürfnis nach Liebe und Sexualität bei verschiedenen psychischen Störungen, aber auch in unterschiedlichen Lebensphasen. Und natürlich fehlen Themen wie Sex im Alter oder Liebeskummer in der neuen Ausgabe nicht. Wir haben für unsere Leser mal darin geblättert.
Die Ursachen für die teils erheblichen Einschränkungen im sexuellen Erleben bei depressiven Patientinnen und Patienten sind vielfältig. „Offenbar haben die Hauptsymptome einer Depression wie Antriebsmangel oder Interessenverlust Auswirkungen auf das Intimleben der Betroffenen“, erklärt Dr. med. Andreas Ebert von der Ruhr Universität Bochum. Viele litten bereits vor dem Beginn einer medikamentösen Therapie unter einem Libidoverlust. Die Gabe von Antidepressiva wirke sich im Behandlungsverlauf dann zwar positiv auf die Grunderkrankung aus, habe aber oft andere Nebenwirkungen wie Ejakulations- oder Orgasmusstörungen. „Dies schränkt die Lebensqualität von vielen bezüglich der Depression erfolgreich Behandelten weiter ein“, so der Experte. Deshalb sei es wichtig, ihnen auch psychotherapeutische Strategien zur Förderung der sexuellen Zufriedenheit anzubieten. Pharmakologische Nebenwirkungen müssten im Blick behalten und die Medikation gegebenenfalls angepasst werden. Das setze jedoch voraus, dass der Austausch über die sexuelle Zufriedenheit der Patienten trotz mancher Hemmungen bewusst in die Therapie und das ärztliche Gespräch einbezogen werde.
Eine nicht erwiderte Liebe oder eine Trennung können Liebeskummer auslösen. Er kann leicht und kurz sein, aber auch eine existenzielle Krise auslösen. Psychiatrisch wird der Liebeskummer als Belastungs- oder Anpassungsstörung angesehen. „In manchen Fällen könnte er aber auch als PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) oder als eine spezifische Form der Depression eingestuft werden“, erklärt Professor Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter von der Charité–Universitätsmedizin Berlin. Neurobiologisch sei andauernder Liebeskummer mit dem Zustand eines Abhängigen im Entzug vergleichbar.
Wie Anpassungsstörung, Depression oder Sucht sei aber auch Liebeskummer heilbar, so der Experte. In Zukunft vielleicht auch leichter als bisher, da sich seine Schwere durch eine zunehmend lockere Beziehungsgestaltung verändern könnte. So könnten Technologien Dating-Apps die Art, Häufigkeit und Intensität des Liebeskummers beeinflussen. „Durch die Gewöhnung an das Auflösen von Bindungen könnte es dazu kommen, dass weniger oder zumindest weniger intensiver Liebeskummer entsteht. Oder aber es gibt immer weniger ernsthafte Beziehungen, die mit Liebeskummer einhergehen“, resümiert Walter.
Sexualität spielt auch im höheren Lebensalter eine wichtige Rolle und hat Einfluss auf die Lebensqualität. Dieser Zusammenhang wird jedoch sowohl in der Gesellschaft als auch im medizinischen und pflegerischen Bereich tabuisiert, erklären Friederike Schröck und ihre Co-AutorInnen. Das zeige sich in Pflegeheimen besonders deutlich. Vor allem Demenzpatienten würden hier auf ihre kognitiven Einschränkungen reduziert. Dass ihr mitunter enthemmtes Verhalten teilweise in sexuellen Übergriffen mündet, sollte nicht zu der Annahme führen, dass ältere Menschen ihre Sexualität per se nur krankheitsbedingt auslebten. Vielmehr geben die ExpertInnen zu bedenken, dass SeniorInnen, ohne kognitive Einschränkungen, ihre intimen Wünsche gegebenenfalls bewusst zurückhielten, um den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen.
Die WissenschaftlerInnen aus Bonn und Köln fordern daher, den Erhalt sexueller Gesundheit auch im hohen Lebensalter zu fördern: „Sexualität und sexuelles Erleben sollten keineswegs ausgeklammert, sondern aktiv in der Anamneseerhebung thematisiert werden.“ Dies verlange seitens des medizinischen Personals eine Reflexion der eigenen Haltung zu Sexualität im Alter, sind sie überzeugt.
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