Am 20 August 2020, fast auf den Tag genau 60 Jahre nach Start der Raumsonde Sputnik präsentierte Putin der Weltöffentlichkeit den Impfstoff Gam-COVID-Vac. Und er soll Sputnik V heißen. Sputnik ist russisch und heißt Begleiter, astronomisch gesehen ist es ein Trabant oder Satellit. Mit Sputnik I begann das sowjetische Raumfahrprogramm, welches sich mit den USA ein Dauerwettrennen lieferte, im Bestreben die Gegenseite zu übertrumpfen. Höhepunkt war der Sputnikschock: Sputnik V wurde ins All mit 2 Hunden an Bord, Belka und Strelka geschickt. Sie wurden lebend wieder zurück geholt und Strelka bekam später sogar Junge. Eines dieser Hündchen schenkte Nikita Chruschtschow der Tochter des damaligen US Präsidenten John F. Kennedy, Caroline.
Der damalige kalte Krieg hat wohl nie aufgehört, ist aber nun in eine neue Phase, wissenschaftlich gefärbt, aber nicht weniger verbittert, getreten ist. Es geht um ein Superserum gegen Corona. Für die ganze Welt.
Während die Länder der Welt unter massivem Druck stehen, einen Impfstoff zu entwickeln – 168 Projekte sind momentan weltweit am Laufen - impft Russland bereits reihenweise Krankenhausmitarbeiter. Auch die eigene Tochter Putins soll geimpft worden sein. Nebenwirkungen wurden und werden keine festgestellt – so die offizielle Aussagen.
Was ist das denn nun für ein Impfstoff, von dem bislang nichts bekannt war. Von dem es bislang keinerlei Informationen gab? Und wie und wo wurde der Stoff untersucht?
Informationen zu Prüfungen mit Medikamenten, die weltweit jeder abrufen kann, findet man bei ClinicalTrials.gov. Auf dieser Seite müssen seit 2004 alle, wirklich alle, klinischen Prüfungen mit Medikamenten oder Medizinprodukten, die weltweit durchgeführt werden, detailliert beschrieben werden.
Hier konnte man nun erfahren, dass die Studie vom Gamaleya Research Institute of Epidemiology and Microbiology initiiert wurde, die auch den Impfstoff entwickelt haben. Die Studie selbst wurde am Militärkrankenhaus in Moskau durchgeführt. Sie wurde am 18. Juni 2020 begonnen (FPI, first patient in) und am 3. August 2020 beendet (LPO, last patient out).
Beim Impfserum handelt es sich um einen vektorbasierten Impfstoff: genetische Informationen des Coronarvirus werden in eine Art trojanisches Pferd eingepackt, Das trojanische Pferd bzw. die Vektoren sind zwei verschieden Adenoviren (Ad5 und Ad26), die für den Menschen nicht pathogen sind. Wird der Impfstoff nun injiziert, ruft er das körpereigene Immunsystem mit all seinen Abwehrmechanismen auf den Plan und bildet hoffentlich Antikörper gegen SARS-CoV-2.
Die Studie war eine offene, nicht randomisierte Untersuchung. In einem ersten Schritt erhielten 9 Freiwillige den Impfstoff mit dem Vektor Ad5, weitere 9 jenen mit dem Vektor d26. Der nächste Schritt war eine Art experimentelle Booster Immunisierung. 20 Freiwillige wurden an Tag 1 und nochmal an Tag 42 geimpft.
Die Bildung von Antikörpern und die zelluläre Immunität wurde bei jedem Teilnehmer wöchentlich gemessen, zum letzten Mal an Tag 42.
Die Studienergebnisse wurden erst mit der Ankündigung der Impfung berichtet. Demnach waren nach 42 Tagen bei allen Teilnehmern genügend Antikörper gebildet worden um eine Immunität sicherzustellen. Parallel waren auch T-Zellen und Lymphozyten, die die zelluläre Immunität sicherstellen, gestiegen. Nebenwirkungen, vor allem keine schwerwiegenden, sollen nicht aufgetreten sein. Nun sollten wir uns eigentlich freuen, so schnell zu einem Impfstoff, auf den die ganze Welt sehnlichst wartet, zu kommen. Aber….
Der Impfstoff wurde an nur 38 Probanden verabreicht. An 18 in einem ersten Schritt, an weitere 20 in einem zweiten. Wobei diese beiden Schritte parallel abgelaufen sind und alle Untersuchungen in einem Zeitraum von 42 Tagen stattfanden (vom 18. Juni bis 3. August). Im normalen Leben ist es praktisch nicht möglich, in solch einem begrenzten Zeitrahmen so eine komplexe Untersuchung durchzuführen. Nun gut, Putin hat wohl auf seinen Sputnikschock hinarbeiten lassen….
So sind hier die zwingend vorgesehenen Phase 1 und Phase 2 einer klinischen Prüfung einfach zusammengefasst worden. Und dabei sind nicht nur die vorgesehen Anzahl von Probanden einfach vom Tisch gewischt worden. Auch eine Dosisfindung, die in der Regel in der Phase II stattfinden soll, wurde nicht durchgeführt.
Dosisfindung ist sicherlich schwierig, unabhängig von der Art der Prüfung und/oder des Medikaments. Bis zu diesem Zeitpunkt hat man ja nur präklinische Daten zur Verfügung. Beim Menschen entscheiden oft Mikrogramme für das Für oder Wider eines Stoffes, nicht nur im Rahmen einer Prüfung sondern auch für die spätere Anwendung. Während der Dosisfindung werden auch erste Nebenwirkungen erfasst und untersucht. Laut Putin hat es außer leichtem Fiebern, auch bei seiner Tochter, praktisch keine Nebenwirkungen gegeben. Und das, obwohl bekannt ist, dass Adenoviren, die hier als Vektoren benutzt werden, zu Nebenwirkungen und oft sogar zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen können.
Normalerweise dauern klinische Studien mehrere Monate bis mehrere Jahre. Nach Phase I und II muss Phase III folgen, in welcher an mehren tausend Teilnehmern die Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft wird. Im Falle eines Impfstoffes muss auch festgestellt werden, wann eine Immunität eintritt und wie lange diese anhält.
Wie oft ist nicht schon passiert, dass Medikamente oder Impfstoffe während der Phase III gescheitert sind – entweder weil die erhoffte Wirkung (längerfristig) nicht nachzuweisen war, oder weil erhebliche Nebenwirkungen zu einem schnellen Abbruch gezwungen haben.
Diese Schritte der Impfstoffprüfung abzukürzen, wie hier geschehen, kann extrem risikoreich sein; etwa wenn eine gefährliche Nebenwirkung übersehen wird, weil sie erst Monate nach der Anwendung des Impfstoffes oder Medikaments auftritt oder erst bei tausendfacher Anwendung unter der Bevölkerung beobachtet wird. Putins neuer Impfstoff ist, wenn überhaupt, erst vor ein paar Tagen zugelassen worden! Eine Phase III wurde nicht durchgeführt. Putin setzt sein Volk einem extremen Risiko aus, weil er alle impfen lässt. Nicht nur sein Volk, sondern möglicherweise auch die weltweite Bevölkerung, denn solang es keinen anderen Impfstoff gibt, bleibt er erstmal der einzige – und viele werden sicherlich gerne alles dran setzen, um sich damit impfen zu lassen.
Allerdings, wie wir erfahren haben, versucht die WHO alle Daten zu diesem Impfstoff zu überprüfen, auch jene zur Qualität, und Russland darauf hinzuweisen, dass Sputnik V erst dann genehmigt werden wird, wenn alle Versuchsreihen durchlaufen sind.
Und wenn dann all das abgeschlossen ist, kann Sputnik V auch in Europa zugelassen werden und uns hoffentlich gegen das Virus schützen!