In den letzten Jahren hören wir immer wieder über erfolgreiche Stammzelltherapien, so bei der Leukämie. Bei anderen Krankheiten sind die therapeutischen Ansätze noch in der Forschungsphase. Zunächst aber: was sind Stammzellen eigentlich?
Stammzellen sind die Bausteine des Lebens. Jede der ca. 100 Billionen Körperzellen eines Erwachsenen geht aus einer einzigen Stammzelle, der befruchteten Eizelle, hervor.
Auf den ersten Blick unterscheiden sich Stammzellen nicht von anderen Körperzellen. Aber sie haben besondere Fähigkeiten: sie können sich teilen und weiter entwickeln. Bei der Zellteilung stellen sie 2 Kopien von sich selbst her. Eine der Kopien ist eine ganz normale Stammzelle, mit den gleichen Eigenschaften wie die Mutterzelle und kann sich wie diese auch wieder teilen. Die andere Kopie, die Tochterzelle, kann sich zu einem bestimmten Zelltyp spezialisieren, ausreifen und schließlich ein neues Gewebe bilden. Die Entscheidung über die Art der Spezialisierung wird durch ein Signal reguliert.
Stammzellen befinden sich in allen Geweben und Organen des menschlichen Körpers. Und sie scheinen Alleskönner zu sein. Spezialisieren, Regenerieren, Reparieren, all diese Fähigkeiten gehören in ihr Repertoire. Damit sind sie die Wunderwaffen der Medizin wenn es um Therapiemöglichkeiten von unterschiedlichsten Erkrankungen geht.
Damit sie für so viele Behandlungen als möglich nutzbar gemacht werden können, wird im Rahmen der Grundlagenforschung die Funktionsweise von Stammzellen in den einzelnen Organen untersucht. Momentan werden am Helmholtz Zentrum in München Darmstammzellen unter die Lupe genommen.
Der Darm mit seinen 8 m Länge ist der Hauptteil des Verdauungskanals. Hier erfolgt nicht nur die chemische Zersetzung der Nahrung in kleine Bestandteile, ihre Aufnahme in den Körper, und die Ausscheidung der Nahrungsreste. Der Darm ist auch die größte Hormondrüse des Körpers. Doch damit nicht genug, der Darm spielt eine große Rolle bei der Regulation des Wasserhaushaltes – er kann große Flüssigkeitsmengen resorbieren und ausscheiden. Und schließlich stellt er eine Barriere für Krankheitserreger dar. Verständlich, dass viele Krankheiten, wie Diabetes, Kolitis, Darmkrebs, oder Fettleibigkeit mit einer gestörten Funktion des Darmes und seiner Zellen zusammenhängen.
Um die Ursachen dieser Fehlfunktionen zu entschlüsseln und Ansätze für mögliche Therapien zu finden, müssen die Funktionen der einzelnen Zellen bekannt sein. Es muss bekannt sein, wie sich Stammzellen im Darm weiter entwickeln, welche Hierarchien dabei vorherrschen und welche Signale die Bildung von bestimmten Zelltypen regulieren. In einem ersten Schritt haben die Forscher einen Stammbaum (lineage tree genannt) für alle Zelltypen des Darmes, einschließlich ihrer Vorläufer, beschrieben. Weiterhin identifizierten sie einen Signalweg (im Fachjargon Wnt/planar cell polarity pathway), der nicht nur die Selbsterneuerung der Zellen reguliert, sondern auch die Entscheidung, wie sich die Darmstammzellen spezifizieren werden. Das Wissen um den Signalweg ist wichtig, weil sich Darmstammzellen unbegrenzt erneuern, um die Darmfunktion aufrecht zu erhalten. Aber diese unbegrenzte Erneuerung birgt auch die Gefahr, dass Zellen mit krankhaften Veränderungen entstehen können. Durch Regulation des Signalweges kann diesen krankhaften Veränderungen gegengesteuert werden. In einem letzten Schritt wurden schließlich ausgewählte Darmzelltypen markiert. In Kombination mit gleichzeitig durchgeführten Einzelzellanalysen konnten die Entwicklungswege der Stammzellen entschlüsselt werden. Faktoren, die diese Entscheidung beeinflussen wurden mit Hilfe von Maschinen identifiziert.
Diese Kenntnisse zur Funktionsweise der Darmstammzellen können nun helfen, Vorläufer verschiedener Zelltypen, die krankhaft verändert wurden, anzusprechen und zu regenerieren. Oder, im Falle von Krebsstammzellen, diese zu identifizieren und gezielt auszuschalten.
Auch in der Diabetesforschung können diese Erkenntnisse genutzt werden. Das ist voraussichtlich das nächste Projekt am Helmholtz Zentrum. Denn auch Diabetes hängt mit einer gestörten Funktion von Darmstammzellen und ihren Signalwegen zusammen.
Originalpublikation: Böttcher et al., 2021: Non-canonical Wnt/PCP signalling regulates intestinal stem cell lineage priming towards enteroendocrine and Paneth cell fates. Nature Cell Biology, DOI: 10.1038/s41556-020-00617-2
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