Diagnose Krebs. Wenn ein Mensch plötzlich zu einem schwer kranken Patienten wird, gerät die Welt aus den Fugen. Der medizinische Fortschritt hat vieles möglich gemacht. Antworten auf die Alltagssorgen und tief greifenden Ängste gibt es jedoch nicht auf Rezept. In zwei Beratungsstellen für ambulante Krebspatienten steht jetzt erstmals die soziale und psychologische Betreuung der Betroffenen und ihrer Angehörigen im Vordergrund.
“Beratung für Tumorpatienten”, steht in einem gelben Faltblatt mit dem einkopierten Schmetterling, das seit Mai 2001 auf die erste Einrichtung dieser Art in Göttingen hinweist. “Hilfsmittel- und Perückenberatung, Krankengymnastik, Ernährungs- und Sozialberatung” versprechen die Innenseiten. Die Initiative für die im dritten Stock eines modernen Mehrfamilienhauses gelegene Beratungsstelle geht auf die engagierten Mediziner Dr. Dirk Meyer und Dr. Andreas Ammon zurück. “Dank Früherkennung, moderner Behandlungsmethoden und innovativer Therapeutika verringert sich die Sterblichkeitsrate bei Krebspatienten stetig. Die Heilungschancen sind größer als je zuvor”, wissen die Fachärzte für Onkologie. Nach acht Jahren in der Inneren Medizin an der Universitätsklinik Göttingen, praktizieren sie seit zehn Jahren in einer von rund 250 onkologischen Schwerpunktpraxen bundesweit. Die Zertifizierung nach DIN ISO 9001 bescheinigt ihrem 16köpfigen Team einen hohen Standard in der Diagnostik und Therapie. Doch das war den Ärzten zu wenig.
Dr. Meyer: “Mit der Diagnose Krebs erleben wir jedes Mal eine unvorstellbare Defensive seitens der Tumorpatienten. Menschen, die eben noch mit beiden Beinen im Leben standen, wird der Boden unter den Füßen weg gerissen.” Der Anspruch der beiden Ärzte endet nicht mit dem hippokratischen Eid. Schon mit einem Antragsformular für die Reha-Klinik seien die Betroffen meist überfordert. Die Onkologen sehen daher ihre Aufgabe auch in der kompetenten und menschlichen Hilfestellung für ihre Patienten. “Nur: Das können wir Mediziner in unserem Praxisalltag gar nicht leisten.”
Die Pilotphase in Göttingen ist abgeschlossen. Von dieser Keimzelle aus ist ein Ableger in Berlin entstanden. Die onkologische Schwerpunktpraxis von Dr. Dorothea Kingreen und Dr. Antje Koschuth liegt im ersten Stock eines typischen Stadthauses im Bezirk Tiergarten. “Neben der medizinischen Versorgung unserer Tumorpatienten müssen wir uns zunehmend um die Lösung organisatorischer Probleme für unsere Patienten kümmern, zum Beispiel um Medikamentenzuzahlung, Krankentransporte oder Heilmittelverordnungen”, berichtet Dr. Koschuth. “Das allein reicht eigentlich aus, um einen 12-Stunden-Tag zu füllen.” Gerade deshalb waren sich die beiden Berliner Ärztinnen im Gespräch mit ihren Göttinger Kollegen Meyer und Ammon sofort einig: so etwas brauchen wir auch. “Wir sprechen immer von Qualitätssicherung in der Patientenbetreuung. Dazu bedarf es aber neben medizinischem Sachverstand und ärztlicher Zuwendung gerade bei Krebspatienten auch professioneller sozialpädagogischer und psychoonkologischer Unterstützung - sei es im Dschungel der Sozialgesetzgebung oder bei akuten seelischen Krisen”, pflichtet Dr. Kingreen bei. Nach dem Vorbild des Göttinger Pilotprojektes wurde ein Konzept für Berlin erarbeitet. Ein Raum im Erdgeschoß des Praxisgeländes war schnell gefunden; entscheidend für die schnelle Umsetzung war das Glück, auf Anhieb eine diplomierte Sozialpädagogin und eine Diplompsychologin für dieses neue Projekt gewinnen zu können.