Das Wort „Versuchstier“ kann auch eine positive Bedeutung haben, selbst wenn es auf Menschen bezogen ist. Das wurde an der Universität München bewiesen, und die Tests dort haben inzwischen weltweite Anerkennung gefunden, in der pharmazeutischen Industrie sind sie zum Trend geworden. Ergebnis: Medikamente kommen schneller zum Einsatz. Sie werden erst dann bei langwierigen und kostspieligen klinischen Großserienversuchen eingesetzt, wenn die kleineren Tests dazu ermutigen. „Das kostspieligste an großen klinischen Versuchen sind die späten Eingeständnisse von Fehlern und Versagern“, sagt dazu Jeffrey M. Leiden von Abbott Laboratories“. Bis zu 100 Millionen Dollar pro neuem Medikament können gespart werden, wenn sich mögliches Versagen frühzeitig voraussagen lässt.
München: Dort wurden Freiwillige durch eine Injektion in eine Art Angstzustand versetzt, in eine Angstpsychose, gekennzeichnet u.a. durch Herzrasen und Schweißausbrüche. Über Videokameras wurden die betroffenen Personen vom Nachbarraum aus von Ärzten beobachtet und überwacht und via ein Interkomsystem über ihre Gefühle, über ihr Befinden befragt. Diese „inszenierten“ Attacken dauerten maximal 10 Minuten, und sie wurden rund 70mal wiederholt. Der gleiche Personenkreis wurde diesem Experiment ein paar Tage später wieder ausgesetzt, doch vor Beginn waren die Betroffenen mit einem neuartigen Medikament aus dem Hause Novartis behandelt worden – und siehe da: Es kam kaum zupanischen Angstausbrüchen, was die Herstellerfirma zu größeren klinischen Versuchen ermutigte.
Derartige „Minitests“ neuer Medikamente, wie sie vor den größeren klinischen Versuchen mit Hunderten Patienten und Millionenaufwand sonst oft an Tieren vorgenommen wurden, sind inzwischen weltweit gang und gäbe geworden. Denn sie sind, so zitiert die „New York Times“ Wissenschaftler und Forscher, „viel zuverlässiger, weil entsprechende Versuche an Tieren nicht generell ergeben, wie ein neues Medikament auf den Menschen wirkt“. „Menschen sind zu wahren Versuchstieren geworden“, sagt dazu Roger Perlmutter von der Biotech-Gesellschaft Amgen. Dieses Unternehmen testete neue Antiarthritismittel nach dem Münchner Verfahren und gleichzeitig an Tieren. Resultat: Bei Tieren wurden vielfach völlig andere Reaktionen als bei den getesteten Menschen registriert.
Dr. Pearl ORourke vom Massachusetts General Hospital verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass alle Versuche a la München von den gleichen Gremien genehmigt werden müssen, die auch große klinische Versuche vor deren Beginn unter die Lupe nehmen. Im Falle Amerikas ist das die Food and Drug Administration. Dr. O
Rourke verweist auch auf diesen Vorteil: Nach dem Münchner Verfahren werden viel weniger Menschen möglichen Nachteilen ausgesetzt als bei großen klinischen Versuchen, an denen oft Tausende beteiligt werden.
Ken Garabadian (54), der an Darmkrebs leidet, nahm freiwillig an einem „München-Versuch“ von Bristol-Myers Squibb teil, wo ein neues Krebsbekämpfungsmittel entwickelt wurde. „Natürlich ist damit ein Risiko verbunden“, sagte er, „aber gar nichts zu tun – das ist doch das größere Risiko“.
An Münchner oder vergleichbaren Studien und Tests sind auch Pfizer, Abbott Laboratories, GlaxoSmithKline (auf technischem Gebiet zusammen mit dem Imperial College London) und Genentech (an einem Medikament gegen die Augendegeneration Macula) beteiligt.