Wie das Leben so manchmal spielt: Das Potenzmittel Viagra aus dem Hause Pfizer, das Männern hilft und Frauen glücklich macht, ist wahrscheinlich auch geeignet, eine weitaus ernstere medizinische Rolle zu übernehmen – nämlich Todesfälle zu verhindern. Denn klinische Versuche lieferten den überzeugenden Beweis dafür, dass der Viagra-Bestandteil Sildenafil Citrat pulmonalen Hochdruck (pulmonary arterial hypertension) effektiv bekämpfen kann. Es sind vorwiegend Frauen, die an dieser Art lungenschädigendem Arterienhochdruck erkranken. Selbst nach kleinsten, routinemäßigen Arbeiten im Haushalt geraten daran Erkrankte in Atemnot. Gleiches geschieht selbst nach kurzen Spaziergängen.
„Wir haben damit eine neue viel versprechende Therapie für die Behandlung dieser sehr ernsthaften Krankheit zur Hand“, verkündete Professor H. Ardeschir Ghofrani von der Universität Gießen jetzt in Seattle. Dort, auf dem Jahrestreffen des American College of Chest Physicians, wurden die deutschen Erkenntnisse erstmals der Weltöffentlichkeit präsentiert. Pfizer-Sprecher Daniel J. Watts sagte dazu, sein Unternehmen prüfe und überlege, ob bei den zuständigen amerikanischen und europäischen Behörden Genehmigungsanträge für diesen „neuen Gebrauch“ des Mittels Viagra gestellt werden sollten. Pfizer soll bereits einen Namen für das „Lungen-Viagra“ parat halten – „Rovitio“. „Diesen Namen habe ich schon gehört“, wand sich Pfizer-Sprecher Watts ein wenig, „aber offiziell ist noch nichts“.
An den klinischen Versuchen in Gießen waren 278 Patienten beteiligt. Sie erhielten 12 Wochen lang dreimal täglich eine Dosis Sildenafil oder ein Placebomittel. Am Ende dieses Experiments konnten jene, die mit „Lungen-Viagra“ behandelt worden waren, binnen sechs Minuten 45 bis 50 Meter weiter gehen als die Placebonehmer. Dieser Sechsminuten-Gehtest ist üblich in Fällen bei pulmonalem Hochdruck. Sildenafil kann den Druck der Arterien, durch den die Lungen versorgt werden, reduzieren.
Es gibt bisher drei Mittel zur Bekämpfung der seltenen Erkrankung (zwei werden mittels Spritzen verabreicht), doch darunter ist nur eine Tablette – „Tracleer“ des Schweizer Herstellers Actelion. Die Behandlung der Erkrankung damit kostet rund 40 000 Euro pro Jahr, erforderlich auch ist eine ständige Überwachung der Leberfunktionen. Sie entfällt bei dem Pfizer-Mittel, denn – so Professor Ghofrani – Lebervergiftungen oder andere ernsthafte Nebenerscheinungen wurden bei den Tests in Gießen nicht festgestellt. Wenn Pfizer für das Lungenmittel „Rovitio“ nicht mehr verlangt als für Viagra, kostet eine Jahresbehandlung zudem „nur“ etwa 12 000 Euro, ist also beträchtlich preiswerter als die Einnahme von „Tracleer“. Viagra übrigens leistete im vergangenen Jahr zu den günstigen Pfizer-Zahlen einen Beitrag im Werte von 1,9 Milliarden Dollar – steht aber in immer schärfer werdenden Konkurrenzkämpfen mit Potenzmitteln aus anderen Häusern, darunter auch Lilly.
Die Pfizer-Ankündigung, Viagra könne auch bei pulmonalem Hochdruck segensreich sein, schlug in Seattle wie eine Bombe ein. Die Präsentation des „Lungen-Viagra“ führte zur Überfüllung des entsprechenden Konferenzsaales. „Es gab ein reines Chaos“, sagte dazu Professor Richard Channick (University of California, San Diego), „letztlich musste ein zweiter Konferenzraum hinzugezogen werden. Unter den Interessierten waren viele Vertreter der Pharmaindustrie sowie Investment-Analysten“.
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