Nicht immer handelt es sich bei den Wirkstoffen aus der Natur um so altbekannte Rezepte wie zum Beispiel die Anwendung von Weidenrinde gegen Fieber und Schmerzen, aus deren Grundsubstanz inzwischen die weltweit bekannte ” Acetylsalicylsäure ” gewonnen wird. Immer häufiger aber entdecken spezialisierte Wissenschaftler exotische Pflanzen ferner Regionen als Träger wertvoller Inhaltsstoffe.
Wie sich die Anstrengungen auf den langen Wegen zu einsetzbaren Naturheilmitteln lohnen können, zeigt nicht zuletzt eine als ” Chinarinde ” bekannte Arznei. Ihr Name führt in die Irre, denn der südamerikanische ”Chinarindenbaum” hat mit dem Land China überhaupt nichts zu tun. ”Kina” war in der altperuanischen Sprache das Wort für Rinde. Und genau diese Rinde ist Lieferant von wertvollem Chinin. Aktuell gewinnt Chinin durch seine stark krampflösende Wirkung massiv an Bedeutung. Und zwar als wirksame und gut verträgliche Naturarznei gegen die Muskelschmerzen im Rahmen des gefürchteten ”Weichteilrheumas”, der Fibromyalgie. Von diesem äußerst schwer zu diagnostizierenden, von Experten als FMS ( F ibro m yalgie- S yndrom) bezeichneten ”Chamäleon unter den Krankheiten” sind inzwischen mehr als zwei Millionen Deutsche betroffen. Tendenz steigend! Die dem FMS zu Grunde liegenden, schmerzhaft-chronischen Muskelverspannungen lassen sich durch Chininsulfat (Limptar N-Tabletten, rezeptfrei in Apotheken) effektiv lindern. Diese Substanz erlebt zur Zeit aufgrund ihrer wissenschaftlich gut belegten Wirksamkeit einen wahren Nachfrageboom und wird von Heilpraktikern und Ärzten für Naturheilverfahren nicht nur erfolgreich im Rahmen der Fibromyalgie-Therapie sondern auch bei der Behandlung quälender Muskelkrämpfe angewandt.
Ein weiteres Beispiel erfolgreicher ethnobotanischer Forschung ist die Entdeckung von Paclitaxel, eines besonders wirksamen Antikrebsmittels. Dieser aus der pazifischen Eibe erstmals isolierte Wirkstoff ist seit mehreren Jahren als Medikament zugelassen und wird heute erfolgreich bei Brustkrebs-Patientinnen angewandt.
Die analytische Arbeit, die vor diesen sogenannten ”Ethnobiologen” liegt, ist immens. Schätzungen zufolge sind fast 30 Millionen (!) Arten noch unerforscht, viele davon in den Wäldern des afrikanischen Kongobeckens und den Amazonasregionen Brasiliens. Vor allem die sensiblen Regenwälder Südamerikas sind ein unerschöpfliches Reservoir. Nicht nur in Pflanzen, sondern auch in Kleintieren, Flechten und Moosen finden sich Substanzen, die ”so absonderlich sind, daß kein Chemiker auf die Idee käme, so etwas auszuprobieren”, wie es Dr. Wulf Schultze, Dozent für pharmazeutische Biologie und Mikrobiologie an der Universität Hamburg ausdrückt. Diese Substanzen gilt es aufzuspüren und langfristig für die weltweite Medizin zugänglich zu machen. Und zwar mit Methoden, die sowohl die sensiblen Ökosysteme der Regionen erhalten, wie auch die Interessen der dort lebenden Völker berücksichtigen.
Ähnlich durchschlagende Erfolge bei einer völlig anderen Indikation könnte eventuell eine vom Forschungsteam um Prof. Deud-José analysierte amazonische Kletterpflanze bewirken. Deren Extrakte konnten bereits die ersten Erfolge im Einsatz gegen Typ2-Diabetes verbuchen. Auf Grund der Förderung im Rahmen des Klosterfrau-Regenwaldprojekts haben die Forscher jetzt die Möglichkeit, die noch fehlenden Untersuchungen in Angriff nehmen zu können. ”Vielleicht”, so Prof. Deud-José während der Übergabe der Fördermittel, ”wird uns ja bald schon ein gutes, zuverlässiges Mittel gegen Typ2-Diabetes zur Verfügung stehen”. Daß es bis dahin noch ein weiter Weg sein wird, stört die Wissenschaftlerin nicht. Sie weiß, daß gerade in der Grundlagenforschung viele kleine Schritte nötig sind, um das große Ziel zu erreichen.
Viele Hinweise auf medizinisch wirksame Substanzen kamen und kommen immer noch von Heilkundigen der dort im Amazonasgebiet lebenden Stämme. Die Offenheit aber, mit der westliche Forscher in den vergangenen Jahrzehnten empfangen worden waren, wich zwischenzeitlich einer großen Skepsis. Denn viel zu häufig wurde der Wissensschatz dieser Völker ausgenutzt, ohne daß auch nur der geringste Nutzen auf sie als die eigentlichen Inhaber des Wissens zurückfiel. Um das verlorene Vertrauen wieder zu gewinnen, schiebt beispielsweise Naturarzneihersteller Klosterfrau jeglicher ”Biopiraterie” einen Riegel vor, indem man von vorne herein eng mit regionalen Universitäten und Instituten sowie mit lokalen Instanzen zusammenarbeitet.