Anfang Juni haben Lungenfachärzte auf einem Ärztekongress in Bad Reichenhall festgestellt, dass die seltene Erbkrankheit Alpha-1-Proteinase-Inhibitor-Mangel, kurz: API-Mangel, auch in Medizinerkreisen zu wenig bekannt ist und unterschätzt wird. Mit schwerwiegenden Folgen: Denn der Mangel an diesem körpereigenen Eiweiß führt dazu, dass die Schutzmechanismen der Lunge gegen Schadstoffe nicht funktionieren und sich eine chronische Lungenerkrankung entwickelt. Frühzeitig über den Mangel Bescheid zu wissen, möglichst reine Luft zu atmen und rechtzeitige Behandlung helfen, das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten.
Als Krankheit beschrieben ist der erblich bedingte Alpha-1-Proteinase-Inhibitor-Mangel, auch API-Mangel genannt, schon seit vierzig Jahren. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die Fachgesellschaft für Lungenärzte schätzt, dass in Deutschland etwa 25 000 Menschen mit einem schweren API-Mangel leben. Allerdings sind nur etwa fünf Prozent bekannt. „Wir kennen nur die Spitze des Eisbergs. Der Großteil der Betroffenen ist“, so Prof. Roland Buhl von der Uniklinik in Mainz, „bisher nicht oder falsch diagnostiziert und behandelt.“ Mit dramatischen Folgen. Denn unerkannt und unbehandelt führt der Mangel zur Schädigung der Lunge bis hin zur chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und zum Lungenemphysem. Mit fortschreitender Lungenzerstörung können viele Patienten ihren Beruf nicht mehr ausüben, sind immer weniger körperlich belastbar und sterben frühzeitig.
Achtzig Quadratmeter Lungenoberfläche für die Luft zum Leben
Warum ist die Lunge ein so wichtiges und zugleich so empfindliches Organ? Ohne zu atmen, können wir nicht leben. Damit die Luft zum Leben wird, filtern etwa 30 Millionen Lungenbläschen den Sauerstoff heraus und leiten ihn in den Blutkreislauf. Beim Ausatmen wird die verbrauchte Luft über die Lungenbläschen als Kohlendioxyd wieder ausgestoßen. Schadstoffe wie Bakterien, schädigende Gase oder die Bestandteile von Tabakrauch würden sich negativ auf die Funktion der Lungenbläschen auswirken, wären sie nicht durch das Eiweiß „Alpha-1-Proteinase-Inhibitor“ geschützt. Bei Menschen mit angeborenem Alpha-1-Proteinase-Inhibitor-Mangel ist dieser Schutz auf die Dauer nicht gewährleistet, es kommt zunehmend zur Zerstörung der Lunge.
Wie äußert sich der API-Mangel? Viele Betroffene spüren jahrelang nichts, weil die Krankheit langsam fortschreitet. Am Anfang steht meist Kurzatmigkeit bei körperlicher Anstrengung, mit der Zeit kommen Husten und Auswurf dazu, schließlich bildet sich in vielen Fällen ein Lungenemphysem, das schon im Alter zwischen 30 und 40 Jahren auftreten kann. Das Lungenemphysem entsteht durch die ständige Überlastung und Überblähung der Lunge, weil das Aus- und Einatmen mit zunehmender Zerstörung der Lungenbläschen schwieriger wird und die Atemwege erschlaffen und verkrampfen. Auf die Dauer muss dann auch das Herz schwerer arbeiten, um den Blutkreislauf zu gewährleisten, so dass eine Herzmuskelschwäche als Komplikation hinzu kommen kann.
Wichtigster Schritt nach der Diagnose „API-Mangel“ ist es, soweit möglich alle schädlichen Stoffe in der Luft zu meiden, vor allem Tabakrauch. Seine Bestandteile sind besonders belastend für die Lungenbläschen, sie beschleunigen den Krankheitsprozess. Raucher mit API-Mangel müssen als erstes aufhören zu rauchen. „Sonst ist eine medikamentöse Behandlung nicht sinnvoll“, erläutert Buhl.
„Die Krankheit kann mit einem medikamentösen Alpha-1-Proteinase-Inhibitor auf Plasmabasis sehr gut behandelt werden“, versichert Buhl. „In der Vergangenheit ist es allerdings immer wieder zu Engpässen in der Versorgung gekommen.“ Darin sieht er auch einen Grund für die geringe Aufklärungsarbeit bisher. In Deutschland ist bis jetzt nur ein Medikament erhältlich. Das kann sich jedoch bald ändern, denn in den USA sind im vergangenen Jahr zwei weitere Produkte zugelassen worden, die dort die Versorgung sicher stellen. Prof. Robert A. Sandhaus, Leiter des Alpha-1-Programms am National Jewish Medical and Research Center in Denver, USA, stellte Studiendaten zu einem neuen Alpha-1-Proteinase-Inhibitor vor, der genau so wirksam, aber wesentlich reiner sei als das bisher verfügbare Produkt. „Damit könnte ein neuer Behandlungsstandard geschaffen werden“, so Sandhaus weiter, „denn die Infusion des neuen Medikaments erreicht mit der Hälfte des Volumens und in der Hälfte der Zeit das gleiche therapeutische Ziel – für die Patienten sicher ein großer Fortschritt.“
Damit Betroffene behandelt werden können, müssen sie erst einmal diagnostiziert werden. Hier gibt es noch erheblichen Aufklärungsbedarf bei Ärzten und in der Öffentlichkeit. Entsprechend einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1997 fordern Experten, dass erwachsene Patienten mit COPD (chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung) oder Asthma hinsichtlich API-Mangel getestet werden, und zwar insbesondere dann, wenn sie unter 50 Jahre sind, sowie auch alle Menschen, in deren Familien gehäuft eine COPD auftritt.