Der Gleichgewichtssinn
An der Gleichgewichtswahrnehmung nehmen einige Sinnesorgane teil, die ein genaues Zusammenspiel erfordern, damit die richtigen Nervenimpulse zu verschiedenen Gehirnzentren weitergeleitet werden können und dadurch eine ungestörte Orientierung im Raum möglich wird.
- Vestibuläres System: Gleichgewichtsapparat im Innenohr. Die drei Bogengänge sind mit einer Flüssigkeit gefüllt, die bei Bewegungen des Kopfes in Fluss gerät. Härchen, die in die Flüssigkeit reichen, werden erregt und diese Impulse an das Gleichgewichtszentrum im Stammhirn weitergeleitet.
- Visuelles System: Das Auge vermittelt ein Abbild der Umwelt.
- Sensibles System: In Gelenken, Muskeln sind Fühler (Propriorezeptoren), die über die Lage des Körpers im Raum, den Kontakt zum Boden informieren.
Wenn die Informationen von diesen Sinnesorganen unkoordiniert zum Gehirn gelangen, tritt dort das Gefühl „Schwindel“ auf, obwohl die Ursache in einem anderen Teil des Organismus liegt. Als Folge von Vertigo können noch Übelkeit, Taumeln, Schwarzsehen, Schweißausbrüche… dazukommen.
Die Gehirnzentren der Raumorientierung sind eng mit dem limbischen System verbunden, woraus sich Zusammenhänge von Schwindel und Angst ergeben.
Einteilung
Nach Dauer
- Sekundenschwindel (Lagerungsschwindel): oft nur Sekundenbruchteile
- Anfallschwindel: Minuten bis Stunden
- Dauerschwindel: Tage bis Woche
Vielfältige Ursachen
Störungen im vestibulären System
- Harmloser, nicht organischer Drehschwindel entwickelt sich erst beim Stehen bleiben nach intensiven Drehungen, weil sich die Flüssigkeit im Innenohr noch weiterbewegt. Dadurch entstehen im Gehirn Meldungen einerseits des Auges und der Körperwahrnehmung (Ruhe), andererseits des Gleichgewichtsorganes(Bewegung), die nicht zusammen passen.
Krankhafter Drehschwindel
- Ausfall des linken oder rechten Gleichgewichtsorganes, oder der Nervenleitungen.
- Morbus Meniere: durch eine chronische Unterversorgung des Innenohres mit Sauerstoff und eine Störung der Flüssigkeitsbalance im Innenohr treten anfallsartige, langandauernde Schwindelattacken mit Fallneigung, heftigen Augenbewegungen, Ohrengeräuschen, Hörverminderung, Übelkeit; auf
- Schwindelzustände bei Migräneerkrankungen
- Entzündung (Labyrinthitis)
Lageabhängiger Schwindel
- Beim gutartigen Lagerungsschwindel lösen sich in den Bogengängen Teilchen der Ohrsteine ab - sie schwimmen in der Ohrflüssigkeit. Bei Lagerungswechsel geraten sie in Bewegung und lösen dadurch in den Nervenleitungen falsche Reize aus.
- Im Laufe des Alterns sterben immer mehr Härchen im Ohr ab (von den ursprünglich 50.000 Haaren), sodass mangelhafte Mitteilungen im Gehirn landen.
Störungen im visuellen System
- Höhenschwindel: In der Ebene erkennen die Augen Schwankungen des Körpers durch Veränderung naher Fixierungspunkte. Diese fallen in großer Höhe aus, weil sie zu weit weg sind. Eine Angstreaktion, in die Tiefe zu fallen, kommt noch dazu.
- Nystagmus: krankhafte, nicht kontrollierbare Augenbewegungen
- Brillenschwindel: anfängliche Unsicherheit bei neuen Augengläsern mit einer anderen Brechkraft der Linsen.
Störungen im sensiblen System
- Eine gestörte Körperwahrnehmung vor allem der Füße (z.B. bei Polyneuropathie) führt zu Schwindelgefühlen mit Gangunsicherheiten besonders im Dunklen, wenn auch der visuelle Sinn ausfällt.
- Erkrankung der Halswirbelsäule führt oft zu einer Verspannung der Nackenmuskulatur, die wichtig ist für das Gleichgewichtsgefühl, eine Sauerstoffunterversorgung des Gehirns kann zusätzlich Schwindel hervorrufen.
Störungen in den Gehirnzentren
- Mangelhafte Durchblutung im Gleichgewichtszentrum des Gehirns. Diese arteriosklerotischen Verengungen können Vorboten eines Schlaganfalles sein!
- Zentraler Lageschwindel: Schwindel nur bei einer bestimmten Kopfstellung, weil im Gleichgewichtszentrum des Gehirns Störungen sind. z.B. Hirnblutung, Infarkt, Tumor, Metastasen
Schwindel bei Reisekrankheit
Während einer Reise mit dem Schiff, Auto oder Flugzeug nimmt das vestibuläre Gleichgewichtssystem die Fahrbewegung wahr, das Auge aber bemerkt im Inneren keine Bewegung. So kommt es zu Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Blässe, kaltem Schweiß
Schwindel bei Herz- Kreislauferkrankungen
Mangelnde Durchblutung des Gehirns durch Blutdruckabfall, erhöhten Blutdruck, Herzrhythmusstörungen,…bewirken Schwindel mit Benommenheit, Standunsicherheit, Ausfall des Sehsinnes oder der Ohren
Schwindel durch Alkoholismus
Alkohol bewirkt eine Hemmung im Kleinhirn (Feinabstimmung von Auge- und Körperbewegungen) und eine Veränderung in den Bogengängen, sodass bei einem Alkoholrausch der schwankende Gang, Standunsicherheit, Schwindel, unkontrollierte Bewegungen- auch der Zunge- erklärbar sind. Alkohol wirkt auch gefäßerweiternd und führt zu Blutdrucksenkungen, dadurch kommt es zu einer Verstärkung des Schwindels.
Durch Konditionierung können diese Symptome auch bei Abstinenz auftreten, diese lästigen Zustände werden dann oft wieder mit Alkohol bekämpft, sodass alles nur noch schlimmer wird.
Nebenwirkung von Medikamenten
- Antibiotika: beeinflussen das Gleichgewichtsorgan
- Antiepileptika, Tranquillizer: Stören Funktionen im Kleinhirn .
- Psychopharmaka, Schmerzmittel, Muskelrelaxantien, Antihistaminika: Dämpfen das ganze Gehirn.
- Diuretika, Antihypertensiva, Antivertiginosa: Mindern die Sauerstoffversorgung im Gehirn.
- Andere Medikamente: Kortikosteroide, Appetitzügler, Digitalismittel,…lösen auf verschiedene Arten Schwindel aus.
- Um die Nebenwirkungen von Medikamenten zu verringern, empfiehlt es sich, dem Körper Zeit zur Anpassung zu geben, keine rasche Dosiserhöhung vornehmen, eventuelle Überdosierungen mit dem Arzt besprechen.
Psychogener Schwindel
Schreckreaktionen können zu Angstschwindel („ weiche Knie“) führen, weil das parasympathische Nervensystem in diesen Situationen dominiert.
Psychische Probleme (Angst, Depression), private Probleme (Trennungen, berufliche Konflikte) führen oft zu Schwindel, obwohl keine Anzeichen einer Störung der Gleichgewichtsorgane vorhanden sind. „ Der Boden unter den Füßen wird weggezogen…“.
Therapie*
Bevor symptomatisch „der Schwindel“ behandelt wird, sollte ein Arzt die Grundkrankheit diagnostizieren und die auslösenden Ursachen behandeln.
Medikamente, die bei einer Schwindelattacke schnell helfen, gibt es nicht. Es können nur die Symptome wie Übelkeit, Angst rasch bekämpft werden und eine verbesserte Gehirndurchblutung erreicht werden.
- Antivertiginosa (Anti-Schwindelmittel): Dimenhydrinat (Vertirosan®, TravelGum®, Emedyl®) oder CyclizinHCl (Echnatol®), meist in Kombination mit Vitamin B12. Nur kurzfristig einnehmen, damit der Erholungsprozess im Körper eingeleitet werden kann. Da diese Substanzen zur Gruppe der H1- Antihistaminika gehören ist eine starke Sedierung möglich. Nicht verwenden bei Lageschwindel!
- Ingwerwurzelpräparate sind eine gute Alternative zu chemischen Mitteln
- Homöopathisch helfen Vertigoheel oder Cocculus am besten.
- Bei Morbus Meniere verbessern H-1-Antagonisten , z. B. Betahistin (Betaserc®) die Durchblutung des Innenohrs, sie vermindern auch die Produktion von Innenohrflüssigkeit.
- Antiemetika bei zusätzlichem Erbrechen
- Ginkopräparate erhöhen die Gehirndurchblutung, sowie Vasodilatanzien z.B. Cinnarizin (Stutgeron®, Cinnabene®, Pericephal®)
Tipps
- Anfallsartiger Schwindel ist sehr lästig, aber meist nicht gefährlich, deshalb sollte man ruhig bleiben, denn Angst oder Panik können den Zustand verschlechtern
- Mit Hilfe eines Schwindeltrainings durch Gleichgewichtsschulung, Fixationsübungen, Bewegungsreize, soll der Betroffene lernen, dem Schwindel aktiv entgegenzuwirken
- Gleichgewichtstraining ist in jedem Alter empfehlenswert. Kinder machen das spielerisch durch Klettern auf Bäumen, Radfahren, Eislaufen
- Auch Erwachsene können ihren Gleichgewichtssinn schulen durch Balancieren auf dem Gehsteigrand, auf einer schmalen Mauer entlang gehen, stehen auf einem Bein
- Außerdem gibt es spezielle Programme für Koordinationsübungen.
- Schlafhygiene, Vermeiden von Stress und Lärm bewährt sich nicht nur bei Morbus Meniere
- Bei Lagerungsschwindel (Teile von Ohrsteinchen lagern sich im Innenohr ab) helfen heftige Drehungen des Kopfes, um die Teilchen herauszuschleudern
- Höhenschwindel beim Stehen auf einer Leiter oder im Gebirge ist eine normale Reaktion auf die große Entfernung zwischen dem Stand am Boden und dem Fixpunkt der Augen in der Tiefe. Deshalb: Viele Nahziele mit den Augen fixieren, für eine feste Standfläche der Füße sorgen, mit den Händen Halt suchen
- Ein kurzes, bewusstes Fixieren eines Punktes wirkt bei Nystagmus sehr beruhigend
- Bei Schmerzen in der Halswirbelsäule helfen Rückengymnastik, Massage, Chiropraktik
- Bei Autofahrten soll nicht nur das Gleichgewichtsorgan im Ohr eine Bewegung feststellen, sondern auch das Auge. Immer wieder aus dem Fenster blicken und Fixierungspunkte suchen. Nicht lesen oder Gameboy -Spielen!
- Wenn der Schwindel durch zu niedrigen Blutdruck ausgelöst wird, kann man vorbeugend viel Bewegung, Sport betreiben und Wechselduschen machen. Außerdem bewährt sich bei langem Stehen, mit den Füßen zu wippen, die Beine zu bewegen, Kompressionsstrümpfe zu tragen, viel zu trinken auch Kaffee und Cola. Üppige Mahlzeiten sollen vermieden werden, aber es darf ruhig etwas mehr gesalzt werden!
- Bei einem drohenden Kollaps bei niedrigem Blutdruck sofort hinlegen! Beine nach oben z.B. „Radfahren“, nur normal atmen, keine Panik aufkommen lassen!
- Führen eines Schwindeltagebuches: jede Attacke soll darin mit Datum, Uhrzeit, sowie Art, Dauer und Stärke eingetragen werden. Sollten auch Auslöser (Kopfbewegung, visuelle Reize, Aufstehen aus der Ruhelage…) bekannt sein, bitte eintragen. Begleitende Beschwerden (Übelkeit, Augenflimmern, Kopfschmerz, Blutdruckveränderungen…) ergeben wichtige Zusatzinformationen, die der Arzt für eine genaue Diagnose und Therapie verwenden kann.
- Jeder Schwindelanfall, der intensiv oder lang anhaltend war, sollte zuerst mit dem Hausarzt besprochen werden, der eine Überweisung zum Neurologen, HNO-Arzt, Augenarzt oder Internist schreiben kann.
- Wenn Kinder über Schwindel klagen, sollte auf jedem Fall eine ärztliche Untersuchung erfolgen, außer sie haben sich gerade erst im Karussell gedreht.
- Die Ursachen bei Altersschwindel sind meist vielfältig: mangelhafte Durchblutung des Gehirns, Schädigung des Gleichgewichtsapparats im Innenohr, die Koordination im Gehirn funktioniert meist nicht mehr gut.
- Ein Gehstock hilft bei Gangunsicherheit, weil die Hände Kontakt zum Boden bekommen.
Die Verfasserin, Apothekerin Eva Fellner aus Klosterneuburg in Österreich hofft, dass Ihnen beim Lesen nicht „schwindlig“ geworden ist, sondern, dass sie bald wieder „mit beiden Beine im Leben“ stehen werden.
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