„Das Alter ist etwas Herrliches. Ich bin neugierig auf jedes kommende Jahr“, meinte bereits Alfred Döblin, und Frank Schirrmacher hat mit seinem Buch „Das Methusalemkomplott“ das Bewusstsein für die „demographische Revolution“ bei vielen Menschen geweckt und das Verständnis für ältere Menschen gefördert. Denn die einzige Altersgruppe, die heute und in den nächsten 30 Jahren noch wächst, ist die Gruppe der über 70-Jährigen..
Und was unternimmt Menschnicht alles, um gesund alt zu werden? Gerade die zahnmedizinische Prophylaxe kann wesentlich dazu beitragen, mit eigenen gesunden Zähnen alt zu werden.
In der modernen präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde stehtvor allem die individuelle, risikoadaptierte, lebensbegleitende Prophylaxe im Fokus. Das Spektrum der zahnmedizinischen Prävention wird sich über die Karies- und Paro-dontalerkrankungen hinaus erweitern. Stärker als bisher werden die Früherkennung von Mundschleimhauterkrankungen und von Begleit-, Leit- oder Frühsymptomen, die auf eine Allgemeinerkrankung hinweisen (z.B. Leberzirrhose, Darmerkrankungen, Hypertonie, Candidiasis) sowie die Aufklärung über gesunde Ernährung, in die zahnärztliche Verantwortung rücken.
„Prophylaxe – ein Leben lang“ ist kein bloßes Schlagwort oder gar eine Utopie, sondern gleichermaßen ein Auftrag und ein Ziel für jeden einzelnen Patienten und für den zahnärztlichen Berufsstand. Prävention ist aber vor allem ein Auftrag und eine Verpflichtung für die Wissenschaft, Präventionskonzepte zu entwickeln, die effektiv und umsetzbar sind. Nicht zuletzt ist die Prävention eine große gesundheitspolitische Aufgabe des Staates, der der Prävention Vorfahrt einräumen muss.
Alle älteren Menschen, die eine Zahnarztpraxis aufsuchen, haben das Recht über zahnmedizinische Prophylaxe aufgeklärt zu werden, und Zahnärzte haben die ärztliche Pflicht, dies zu tun und zur Prophylaxe zu motivieren. Das setzt aber auch voraus, dass die Zahnärzteein Prophylaxekonzept anzubieten haben, das für ältere Menschen einsichtig, nachvollziehbar und im Alltag umsetzbar ist. Mindestens ebenso wichtig ist es, mit älteren Menschen richtig kommunizieren zu können. Damit dies überhaupt möglich ist, müssen sie gerne in die Zahnarztpraxis kommen, sie müssen spüren, dass sie willkommen sind und dass man sich für sie ausreichend Zeit nimmt.
Geduld im Gespräch und in der Behandlung ist ebenso wichtig wie die Rücksichtnahme auf Hör- und Sehprobleme. „Auch wenn wir nicht immer die Sichtweise älterer Menschen nachvollziehen können, sollten wir sie respektieren und tolerieren“ (Dr. Herbert Michel, Würzburg).
Wichtig erscheint auch, dass Informationen konkret auf die Bedürfnisse und Wünsche älterer Menschen abgestellt werden und man ihnen überflüssige, eher verwirrende Informationen erspart. Eine ruhige stressfreie Gesprächs- und Behandlungs-atmosphäre ist die beste Voraussetzung für ein konzentriertes Gespräch und ergonomische Behandlungsweise.
Vor allem Hintergrundgeräusche wie Musik oder Straßenlärm durch offene Fenster stören ältere Menschen ungemein und sorgen für eine unruhige Situation.
Auch wird häufig der Fehler gemacht, zuviel Fachwissen in der Prophylaxe undbei Behandlungsmaßnahmen vorauszusetzen. Hier gilt oft das Prinzip: Weniger istoft mehr.
Scheinbar banale äußere Gegebenheiten können den Besuch der Praxis für ältere Menschen sehr erschweren oder gar verhindern: fehlender Aufzug, viele Treppen, keine Parkgelegenheit vor der Praxis, keine Möglichkeit mit dem Rollstuhl in die Praxis zu kommen. Eine helle Beleuchtung und bequeme Sitzgelegenheiten im Wartezimmer sind für ältere Menschen sehr.
Sehr geschätzt wird auch die Möglichkeit, im Bedarfsfall einen Hausbesuch zu machen, um den beschwerlichen Weg zur Praxis zu vermeiden. Hierfür bedarf es einer gewissen Logistik. Behandlungsschritte sollten nicht nur dem Patienten selbst, sondern ebenso der Begleitperson erläutert werden, Behandlungsentscheidungen sind am besten unter Anwesenheit von Begleitpersonen vorzubereiten oder zu treffen. Vielfach sind erst Gespräche mit nahen Angehörigen notwendig. Termine sind manchmal aus bestimmten Gründen nach den Wünschen des Patienten zu planen. Kostenvereinbarungen sollten in einem persönlichen Begleitschreiben zum Heil- und Kostenplan nochmals schriftlich dargelegt werden. Bei Patienten aus Seniorenheimen ist zu klären, ob Angehörige oder Betreuer als Ansprechpartner zur Verfügungstehen.
Dass Prophylaxe einen hohen Stellenwert für ältere Menschen hat und haben muss, zeigt die Tatsache, dass die Zahn- und Mundhygiene einen bedeutenden Einfluss auf die Allgemeingesundheit hat. Dies führt auch ein aktuelles Forschungsprojekt der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig in Zusammenarbeit mit der Universität Kaiserslautern und dem Klinikum der Universität Leipzig vor Augen. Danach sind Oralstreptokokken nicht nur an der Bildung von Plaque und Karies beteiligt, sondern können bei Menschen mit schwachem Immunsystem zu einer Sepsis führen und Abszesse in Hals, Lunge und Leber, sogar lebensbedrohende Herzklappenentzünd-ungen hervorrufen.
Neben der Karies- und Parodontitisprophylaxe im Rahmen der professionellen Zahnreinigung in der Zahnarztpraxis kommt der Früherkennung von Mundschleimerkrankungen eine große Bedeutung bei älteren Menschen zu. Vor allem gilt es physiologische Alter-veränderungen von pathologischen Veränderungen abzugrenzen. Häufiger anzutreffen sind Druckstellen, Soor, Entzündungen und Aphten.
Ein weiteres großes Problem bei älteren Menschen ist die Xerostomie, die Mundtrockenheit. Zur Linderung der Symptome gibt es eine Reihe von Speichelersatzmitteln.
Ein Stiefkind der Mundhygiene ist manchmal die Prothesenpflege. Sie ist ebenso erklärungs-, demonstrations- und übungsbedürftig wie die Zahnpflege selbst. Ziel der Prothesenpflege ist Plaquebeseitigung und damit Keim-reduktion. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es mancher Hilfsmittel. So kann eine spezielle Prothesenbürste die Sättel besonders gut reinigen. Q-Tips oder Einbüschelbürsten erleichtern die Reinigung der Innenkoni sehr. Ein wichtiger Rat ist, die Prothese sitzend vor dem mit Wasser gefüllten Waschbecken zu reinigen. Damit ist die Gefahr der Prothesenschädigung beim eventuellenHineinfallen in das Becken ausgeschaltet.
Prophylaxe im Alter fordert auf Seiten des Patienten Einsicht und Eigenverantwortung, auf Seiten des Praxisteams besondere Geduld und verständnisvolles Engagement.
Wenn es gelingt, älteren Menschen den längeren Erhalt eigener Zähne zu ermöglichen und damit ein Stück Lebensqualität zu erhalten, haben sich die prophylaktischen Bemühungen auf beiden Seiten gelohnt.
Das Referat Prophylaxe und Gerostomatologie der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK) hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Hilfe der bayerischen Kolleginnen und Kollegen im Verein mit der Hilfe der Angehörigen von Pflegeberufen die Mundsituation der hilfs- und pflegebedürftigen Menschen zu verbessern und das Patenzahnarztmodell ins Leben gerufen. Dieses sieht vor, dass jeder Pflegeeinrichtung mindestens ein Zahnarzt zur Verfügung steht, an den diese sich bei Bedarf wenden kann. Der Patenzahnarzt wird selbstverständlich nur Bewohner betreuen, die keinen eigenen Zahnarzt vorweisen und zugleich mit seiner Person einverstanden sind. Der Grundsatz der freien Arztwahl behält selbstredend seine Gültigkeit.
Die Aufgabe des Patenzahnarztes ist zuallererst die Übernahme von Behandlungen dort, wo der Transport des Patienten in die Praxis unzumutbar erscheint. Die Behandlungskosten können bei gesetzlich versicherten Patienten über die Krankenversicherungskarte abgerechnet werden.
Aber nicht nur ältere Menschen, sondern auch Behinderte bedürfen einer spezifischen zahnmedizinischen Betreuung. In Passau wurde vor vier Jahren ein Modelprojekt gestartet: „Zahnärztliche Behandlung von Behinderten und chronisch Kranken in Narkose“. 43 Zahnarztpraxen sind in Zusammenarbeit mit dem Klinikum Passau daran beteiligt. Die positive Resonanz und das Resümee der vergangenen vier Jahre haben gezeigt, dass sich das Engagement bei der Planung und Realisation dieses Projekts gelohnt haben. Dabei erschöpft sich das Behandlungsspektrum für den einzelnen Behinderten nicht, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war, in einer chirurgischen Entfernung von zerstörten Zähnen mit der Folge einer frühzeitigen Zahnlosigkeit dieser Patientengruppe. Vielmehrkann für jeden Patenten ein Gesamtbehandlungskonzept, bestehend aus einer chirurgischen und einer prothetischen Therapie geplant und durchgeführt werden.
Die Behandlung im Klinikum durch die im Rahmen des Projekts tätigen Zahnärzte und die regelmäßige zahnärztliche Betreuung durch den Hauszahnarzt gewährleistet für dies Randgruppen der Gesellschaft eine Gleichstellung gegenüber gesunden Menschen – eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
© MediaDomain Verlags GmbH / BLZK, Dr. Michel, Wurzburg, Dr. Johannes Müller, Wörth/Isar, Dr. Lutz Erhard, Hauzenberg