Immer wenn ich Ungarn wieder verlasse, ist es, als kehrte ich dem Paradies den Rücken. Da hallen gewaltig nach die Liebenswürdigkeit der Menschen und deren strahlenden Augen, ihre Lieder und Deutschkenntnisse, die Paprikagerichte und der Wein, die Legenden um Piroschka und Kaiserin Elisabeth. Letztere begann vor genau 150 Jahren, Ungarisch zu lernen, drei Jahre später traf sie den Grafen Andrássy, mit dem sie sich dann schnell auf einer einsamen Almhütte über Bad Ischl amüsierte, dann dichtete „Auf der Alm, da gibt’s kei Sünd“. Schließlich exakt neun Monate später (1868) die Geburt ihrer Tochter Valerie (nach dem römischen Namen der Besitzungen Andrássys benannt), dem „ungarischen Kind“.
Kurz vorher dichtete Elisabeth noch: „O Ungarn, geliebtes Ungarnland.“ Und dann der folgenreiche Vers: „Es starben für Freiheit und Vaterland,/ Der hehren Helden nicht wenig.“ Man kommt dem Genre noch heute nicht aus, so wenn man an die Massaker der Österreicher 1849 denkt, was zur Folge hat, daß kein Ungar mit dem Bierkrug, der den Kaiser Franz Joseph (Elisabeths Ehemann) symbolisiert, anstößt, und man natürlich auch 1956 nicht vergessen hat.
Wer in diesem Punkt Ungarn versteht, hat es leicht und schön, so vor allem wenn man einer der vielen Schwestern der Kaiserin begegnet. Ich traf davon eine in Hévíz, dort wo Heilwasser für die Gesundheit sorgt, ein großer See mit unterirdischen heißen Quellen gespeist wird, wo ganz in der Nähe ein Büffelreservat mit Ziegen-, Esel- und Pferdegehegen (usw.) nicht nur Kinder, sondern auch deren Eltern und Großeltern in den Bann zieht. Dort wo Piroschka ihren vermeintlich untreuen Andi überraschte, am Balaton nämlich, dort wo ein exzellenter Gerstensaft gezapft wird, „Soproni. Hozzánk tartozik“ steht auf dem Bierdeckel.
Zurück zu besagter Schwester der Kaiserin! Sie leitet in Hévíz das Fünf-Sterne-Hotel „Lotus-Therme“, zeigt uns Zimmer mit den weithin bekannten „Himmelbetten“ und Bädern, wir lesen, daß man zum Abendessen nicht in kurzen Hosen kommen darf. Jeder spricht Deutsch hier, aber das ist normal rund um den großen See, den die Deutschen als Plattensee kennen. Besagtes Hotel hat eine eigene Tageszeitung („Lotus News“) mit Rezepten aus der feinen Küche und (wahllos herausgegriffen) das Angebot einer „Verlängerungsnacht“ für 80 Euro. Beim Abendessen ist die Chefin eine wahre Perle, die strahlt und einem den Abschied so schwer macht. Ihr Name: Elisabeth, wie könnte es denn auch anders sein! Der Vollständigkeit halber auf Ungarisch: Erzsébet Pusztai.
Wenn sie erzählt (in makellosem Deutsch), dann versteht man sie um so leichter, denn die Augen akkompagnieren ständig. Ja, so muß die Kaiserin unter den Menschen gewirkt haben, sie hat schließlich den „Ungarischen Ausgleich“ erwirkt, wofür heute der Friedensnobelpreis die adäquate Auszeichnung wäre. Als wir Erzsébets Hotel verlassen, ist das ein halbes Sterben. Aber solche Szenen verzeichnen wir mehrere. So wenn Alfred Hackl, der steirische Hotelchef des Hauses „Spirit“ in Sárvár (ebenfalls fünf Sterne), ein warmes Lobpreis auf die Ungarn ausstößt, das poesievoller nicht sein kann.
Wir fahren lange durch das flache Land, man könnte ein Buch schreiben. Gleich nach dem Überschreiten der österreichisch-ungarischen Grenze Pannonhalma, mit dem gotischen Kreuzgang (Jahreszahl 1486), dem Platz, an dem das Herz des jüngst verstorbenen Otto von Habsburg beigesetzt wurde und der Duft des Kräutergartens und der Genuß des Sauerkirschenlikörs zum Verweilen lädt. Eine große Bibliothek beeindruckt die Besucher, auch wenn sie nicht an die Bücher rankommen. Wir lesen die Titel am Rücken und entdecken Ratgeber für Priester im Beichtstuhl und beim Brautunterricht. Man schmunzelt natürlich über die klerikalen Kategorien der Vergangenheit!
Dann reihen sich Bäder an Bäder, Hotels an Hotels (preiswert und extravagant, aber niemals überteuert). Ihre Heilwirkung wird mannigfach attestiert. Und weil wir gerade bei der Gesundheit sind, natürlich dürfen die Zahnarztpraxen nicht vergessen werden. Ich lasse mich im Hotel „Europa“ in Hévíz auch untersuchen, frage nach dem Preis - und mir verschlägt es die Stimme. Ein seriöser Zahnarzt jüngeren Alters neben einer sympathischen Helferin sagt mir einen Preis, der ein Drittel von dem beträgt, den ich in Deutschland bezahlte.
Schließlich noch so eine Erkenntnis! Im Heilbad hat man viel Zeit zum Lesen. Wir nehmen eine Biographie der Kaiserin Elisabeth zur Hand oder einen ihrer vielen Gedichtbände mit zauberhaften Versen („Ich hab und ward betrogen“), lesen Hugo Hartungs „Ich denke oft an Piroschka“ oder „Wiedersehen mit Piroschka“. Eine ungarische Schriftstellerin habe ich besonders zu schätzen gelernt: Magda Szabó. Ihr Roman „Das Fresko“ endet wie die „Piroschka“ am Ort schmerzzerreißender Abschiede – am Bahnhof. Aus ihrer Feder floß noch „Die andere Esther“. Oder wie wäre es mit der spannend geschriebenen „Kleinen Geschichte Ungarn“ von István Lázár, die mit dem Satz endet: „Am 23. Oktober 1989, am Jahrestag des Volksaufstandes 1956, wurde die Republik Ungarn proklamiert.“
Oder: Wir hören über CD die herrlichen Kompositionen von Franz Liszt oder Béla Bartók. Am Plattensee ist Emmerich Kálmán geboren, von seinen Kompositionen sind wunderbare Aufnahmen mit den großen Sopranistinnen und Tenören unserer Erde auf dem Markt. Oder nochmals anders: Man rudert auf dem wunderbaren See seiner Heimat, setzt sich in einen der schönen Dampfer dort, macht an den Ufern und in der näheren Umgebung eine Radtour auf hervorragend präparierten Wegen. Man kann Kanu fahren, reiten, wandern, zechen und das Verhalten der trägen und schlammigen Büffel studieren. Ein Mädchen sagte beim Betrachten der importierten Tiere zur Oma: „Man kann schön und dreckig zugleich sein!“ Gleich nebenan die großen ungarischen Hirtenhunde (hier hinter Gittern). Vor ihnen hatten selbst die Russen große Angst, wird uns erklärt.
Nur Ungarisch lernen, nein das sollten nur Geistesriesen wagen. Man muß es aber auch gar nicht versuchen. Im Land spricht man ein phantastisches Deutsch. Und schon deshalb bewundere ich Land und Leute. Wie gesagt: Immer wenn ich Ungarn wieder verlasse, ist es, als kehrte ich dem Paradies den Rücken.
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