Dieses System heißt so, weil seine Schalter auch auf klassisch im Cannabis enthaltene Substanzen (THC) reagieren. Die Systemschalter, die CB-Rezeptoren (kurz für Cannabinoid), werden normalerweise aber mittels körpereigener Substanzen, die dem THC ähneln, den Endocannabinoiden, aktiviert. Diese Aktivierung moduliert die Abläufe, die zur Alterung dazugehören und könnte dabei sozusagen verjüngend auf den Körper einwirken. Allerdings wird das System inaktiver mit dem Alter, wie Forscher in Tieren feststellen mussten: die Gehirnzellen bauen seltener neue CB-Rezeptoren, und diese reagieren auch noch zunehmend schwächer auf die Endocannabinoide, die sie aktivieren sollen. Außerdem liegt in älteren Tieren auch weniger der aktivierenden Substanzen vor, die Rezeptorschalter werden also nicht nur seltener und reagieren schlechter, sie werden auch noch seltener genutzt.
Schon früher wurde gezeigt, dass Mäuse, die einen speziellen CB-Rezeptor, CB1 genannt, nicht herstellen konnten, im Alter stärker unter dem Verlust von Gehirnzellen und früherem Abbau von Lern- und Gedächtnisleistung litten. Wenn eine verringerte Aktivität von CB1 die Alterung beschleunigt, könnte dann nicht ein dauerhaft aktiverer Rezeptor positiv auf das geistige Altern einwirken? Dies könnte beispielsweise durch eine erhöhte Konzentration an aktivierenden Substanzen wie THC erreicht werden. Die Altersforscher um Dr. Bilkei-Gorzo vom Universitätsklinikum Bonn untersuchten daher in Kollaboration mit israelischen Kollegen, ob eine regelmäßige Gabe von THC gegen geistige Alterungssymptome wirken kann.
Dazu führten die Forscher Verhaltenstests vor, während und nach einer Behandlung mit THC bei gesunden Mäusen durch. Die Tiere im Alter von 2 Monaten (jung, n = 10), 12 Monaten (reif, n = 10) und 18 Monaten (alt, n = 15) erhielten zwischen Tag 14 und 28 eine tägliche niedrige Dosis THC oder ein Placebo. Ihr Verhalten wurde anschließend bis Tag 56 weiter getestet, um auch einen eventuellen Abbau des Effekts beobachten zu können. Die Tests wurden in einem klassisch in der Tierforschung angewendeten Wasserlabyrinth durchgeführt, in dem die Tiere versuchen möglichst schnell eine trockene Plattform zu erreichen. Je nach Aufgabenstellung müssen sie dazu eine neue Objektplatzierung erkennen oder eine Partnermaus erkennen. In den Tests wurden Faktoren wie Interessen an Neuem, Erforschungsverhalten (Neugierde) und die generelle Geschwindigkeit ermittelt.
Wo in der früheren Studie die geistige Alterung schneller vonstatten ging, zeigte sich nun sozusagen der gegenteilige Effekt: die gealterten Mäuse verbesserten ihre Lernleistung wieder durch die Behandlung mit THC. Ihr Denkleistungsabbau wurde zum Teil rückgängig gemacht. Dieser Effekt war sowohl bei den reifen (12 Monate) als auch bei den alten (18 Monate) Mäusen festzustellen. Dieser Verhaltenseffekt war auch im Gehirn von messbaren Veränderungen begleitet. Vor allem im Lernzentrum des Gehirns, dem Hippocampus, zeigten die behandelten Mäuse mehr Aktivität und Wachstum von Nervenzellverknüpfungen. Die Lernzellen verbanden sich also häufiger miteinander, was als Zeichen für einen Lernvorgang und die Gedächtnisbildung verstanden wird. Bei den reifen Mäusen verjüngte sich die Gehirnaktivität zum Teil so sehr, dass sie der Aktivität bei den jungen Mäusen ähnelte.
Eine Reaktivierung der verlangsamten CB1-Rezeptoren im Gehirn könnte also eine wirksame Behandlung für den geistigen Abbau im Alter sein. Dies erscheint zumindest bei Mäusen mit einer niedrigdosierten Gabe von THC, wie es in Cannabis vorkommt, möglich zu sein. Medizinisches Cannabis könnte als möglicherweise zukünftig nicht mehr nur gegen Schmerzen oder Appetitlosigkeit bei schweren Erkrankungen, sondern zur Unterstützung gesunden geistigen Alterns und Reaktivierung von Lern- und Gedächtnisleistung dienen. Vor einer experimentellen Selbsttherapie oder heimlichen Keksverabreichung an die alternden Angehörigen sei aber gewarnt – die Bonner Autoren geben keine Informationen zu der genauen Dosierung beim Menschen, und auch zu den Nebenwirkungen bei den Mäusen sind Fragen offen. Zudem dürfte sich der Hausarzt vorerst mit der Rezeptausstellung noch etwas schwertun.