Zu viel oder zu wenig, es ist eine heikle Balance, die unser Körper leisten muss, wenn er gefordert wird. Sei es durch einen fieberhaften Infekt, eine Wettkampfsituation oder gerade im Sommer, einen Sprung ins eiskalte Wasser. Die dafür notwendige zusätzliche Energie beziehen wir in diese Fällen über den Anstieg des körpereigenen Nebennieren-Hormons Kortisol. Doch dazu muss die Nebenniere auch perfekte Arbeit leisten. Kann sie das nicht, so steht zu wenig Kortisol zur Verfügung. Und dabei kann es schnell zu einem lebensgefährlichen Schock kommen. Da jedoch deren Symptome häufig unspezifischen sind, hat dies nicht selten dramatische Konsequenzen. Nur eine rechtzeitige Diagnose ist hier oft lebensrettend.
Leistungsverlust und Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie psychiatrische und zentralnervöse Auffälligkeiten, wie etwa Psychosen, Depressionen und Gedächtnisstörungen, sind die fast immer schleichend auftretenden Anzeigen einer sekundären Nebenniereninsuffizienz. Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen sowie Unterzuckerung werden hingegen eher selten beschrieben. Und genau darin liegt der Grund, dass die Krankheit spät erkannt und die Diagnose erst spät gestellt wird. Dabei lässt sich das Liegt fehlende Kortisol im Alltag gut ersetzen und die Symptome bilden sich zurück. Unerwartet bzw. plötzlich auftretende Belastungssituationen bedingen, dass die Betroffenen mehr Kortison brauchen, um stabil zu bleiben. „Patientinnen und Patienten mit einer Nebennierenschwäche sollten deshalb gut geschult sein und immer einen Notfallausweis mit sich tragen, in dem die Diagnose „Nebenniereninsuffizienz“ vermerkt ist.“
Das Stresshormon Kortisol trägt dazu bei, den Kreislauf und den Blutzucker zu stabilisieren und an die jeweiligen Belastungen anzupassen. Zudem hat es einen entzündungshemmenden Effekt. Normalerweise bilden die Nebennieren bei körperlichem Stress vermehrt Glukokortikoide und gibt es in die Blutbahn ab. Liegt eine Schwäche der Nebennieren vor und fehlt deshalb das Kortisol, kann es zu niedrigem Blutdruck, niedrigem Blutzucker und zu einer ungehemmt ablaufenden, überschießenden Entzündungsreaktion kommen. Im schlimmsten Fall droht ein Schock.
Ursachen für eine Schwäche der Nebennieren sind vielfach. Prof. Dr. med. Stephan Petersenn von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) erklärt dazu: „Nach einer hochdosierten Langzeittherapie mit synthetischen Glukokortikoiden (Prednison, Prednisolon, Dexamethason) etwa kann es vorkommen, dass die Nebennieren ‚verlernt’ haben, selbst ausreichend Kortisol zu produzieren. Wird das Medikament rasch abgesetzt, fehlt das Hormon. „Dies ist auch der Grund, warum man eine Kortisontherapie immer langsam ‚ausschleichen’ muss. Dann hat der Körper Zeit, die eigene Produktion wieder aufzunehmen“, so der Endokrinologe. Die allerdings häufigste Ursache für den Ausfall der Kortisol-Produktion im Erwachsenenalter ist jedoch eine Erkrankung der Nebennieren. Hier zählen etwa eine autoimmun bedingte Entzündung der Nebennieren wie Autoimmunadrenalitis/Morbus Addison zu den Ursachen.
„Es gibt darüber hinaus auch eine sogenannte sekundäre Form, bei der Erkrankungen von Hypothalamus und Hypophyse die Ursache sind – etwa gutartige Hypophysenadenome“, so Petersenn weiter. Durch die Hormonregelkreise strahlen diese Erkrankungen auch auf die Nebennieren aus: „Dann fehlen die stimulierenden Hormone CRH (aus dem Hypothalamus) und/oder ACTH (aus dem Hypophysenvorderlappen)“, so Petersenn.
Nicht nur die Diagnostik, sondern auch die Therapie der Nebennierenschwäche werden in der Ärzteschaft bisher uneinheitlich gehandhabt. Deshalb hat die DGE spezielle Schulungen gemeinsam für Endokrinologinnen und Endokrinologen und Medizinische Fachangestellte entwickelt hat, um die Behandlung der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern. Auch weil man weiß, dass es oft nur mit Verzögerung zur Einleitung einer Notfalltherapie kommt. Zwar stellt sich die Mehrzahl der Patient:innen zeitnah bei einer vermuteten beginnenden Nebennierenkrise im Krankenhaus vor, aber nur etwa die Hälfte von ihnen erhält auch fristgerecht die Kortison-Notfallmedikation. Dabei stelle sich auch die Frage der Dosierung: Im Zweifelsfall gelte es, die höhere Kortison-Stressdosis zu verabreichen oder lieber einmal zu viel als einmal zu wenig anzuwenden. „Eine eventuelle einmalige Überdosierung ist weniger schlimm als das Risiko, an einem Schock aufgrund einer Unterversorgung zu sterben“, so Petersenn.
Quelle: Online-Pressekonferenz anlässlich des 66. Kongresses der DGE 2023