Das Oberlinhaus in Potsdam verfügt mit seinen Einrichtungen über alle Möglichkeiten, um den Patienten von der Diagnostik über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten bis zu einer umfassenden Rehabilitation zur Seite zu stehen. Im Mittelpunkt des zertifizierten III. Reha-Forums, das Ende April im Oberlinhaus stattfand, standen dabei die ambulanten Reha-Möglichkeiten nach Eingriffen am Schultergelenk.
Die Rotatorenmanschette wird durch die Sehnen der Mm. subscapularis, supraspinatus, infraspinatus und teres minor gebildet. Die Rotatorenmanschette spielt eine wichtige Rolle bei der aktiven Bewegung des Oberarmes und hält den Humeruskopf im Gelenkzentrum.
Verletzungen der Rotatorenmanschette ohne Unfallgeschehen betreffen hauptsächlich Patienten, die Überkopfsportarten betreiben (z.B. Golf, Werfen, Schwimmen). Bei diesen Sportarten ist diese Sehnen-Muskelgruppe durch gleichförmige Bewegungsmuster und große Trainingsintensität hohen Belastungen ausgesetzt. In der Folge kann es zu winzigen Überlastungsschäden (Mikrotraumen) kommen, die bei kleineren Verletzungen zu Schäden und Rissen in diesem Bereich führen. Allerdings sind Vorschädigungen des Schultergelenks durch traumatische Schulterluxationen von wesentlich größerer Bedeutung. „Insbesondere bei Männern jenseits der 40 Jahre treten diese Verletzungen häufig als Folge einer Schulterluxation auf”, erläutert der Oberarzt der Abteilung für Extremitätenchirurgie der Oberlinklinik, Marcelo Sanchez-Böhm. Die häufigste Ursache sind jedoch über Jahre fortschreitende Abnutzungen der Sehnenplatte, die schließlich zu einem spontanen Riss führen. Deshalb kommen Rotatorenmanschettenrupturen im höheren Lebensalter immer häufiger vor. Viele Fälle bleiben dabei aber asymptomatisch und erfordern keine Behandlung.
Der für die medizinische Betreuung im Reha Zentrum zuständige Arzt, Dr. Thomas Lang, stellte die internationale Studienlage und eigene Daten des Reha Zentrums vor:
In den von Lang vorgestellten Studien, die zwischen 1984 und 2002 durchgeführt wurden, gaben 77 bis 92 Prozent der beobachteten Patienten an, schmerzfrei zu sein. Diese Patienten wurden über einem Nachuntersuchungszeitraum von bis zu fünf Jahren betreut. Elementarer Bestandteil des Therapieerfolgs ist dabei die langfristige Nachbehandlung der Patienten.
Nach der Inspektion sollten spezifische Beweglichkeitsprüfungen erfolgen. Unter den bildgebenden Verfahren hat sich neben den Röntgen-Standarduntersuchungen (2 Ebenen, Westpoint-Aufnahme) das Funktions-Ultraschall sowie das CT bzw. MRT durchgesetzt. Wenn Schmerzen eine Funktionsprüfung nicht zulassen, kann die passive Beweglichkeit unter Narkose nachvollzogen werden. Die Arthroskopie dagegen ist in ihrer Bedeutung gegenüber nichtinvasiven bildgebenden Verfahren zurückgefallen.
Anamnestisch können über den Verletzungsverlauf, die Schmerzsymptomatik, das Alter und den Beruf des Betroffenen erste Hinweise auf eine Rotatorenmanschettenverletzung gewonnen werden. Inspektion, Palpation, Beweglichkeits- und Funktionsprüfungen sichern die Diagnose ab. Ein deutlicher Hinweis ist dabei der unmögliche Nacken- und Schürzengriff.
Teilrupturen werden bei älteren oder inaktiven Patienten in der Regel konservativ behandelt. Hier besteht die Therapie aus Schmerzbehandlung und frühzeitiger Physiotherapie, um die Gefahr einer „Frozen Shoulder” zu vermeiden.
Bei ausgeprägten Teilrupturen oder einer Totalruptur ist ein operatives Vorgehen angezeigt, um die rupturierten Anteil möglichst spannungsfrei zu refixieren. Bei nicht rekonstrukturierbaren Defekten stehen Debridement und inverse Dekompression als erstes Therapieziel im Vordergrund. Im weiteren Verlauf müssen die anatomischen Verhältnisse wieder hergestellt werden.
Für die Therapie kompletter Rupturen werden Einteilungen nach Bateman (Defektbreite), Goutallier (Muskeldegeneration)und Patte (Retraktionsgrad) vorgenommen. Deren Klassifikation hilft, genauere Aussagen zur Prognose des Patienten zu machen.
Das OP-Ergebnis korreliert mit dem Ausmaß der Läsion, dem Intervall zwischen Rupturbeginn und damit verbundenen Symptomen und der OP sowie der Qualität der Sehne. Nebendiagnosen wie Diabetes mellitus und Nikotinabusus wirken sich ebenfalls negativ auf das OP-Ergebnis aus. Isolierte Supraspinatus-Rupturen haben eine gute Prognose. Diese verschlechtert sich, wenn eine gleichzeitige Ruptur von Supraspinatus- und Subscapularis-Sehne betroffen sind. „Schlusslicht” bei der Prognose der Rotatorenmanschettenverletzungen sind solche, in denen alle drei Sehnen rupturiert sind.
Der Einsatz von Endoprothesen erlaubt weitergehende Therapiemöglichkeiten für Patienten mit Omarthrose, Humeruskopfnekrose, Fraktur (3/4- Segmentfraktur), Rheumatoidarthritis, Instabilitätsarthrose oder Defektarthopathie, so der Chefarzt der Abteilung für Extremitätenchirurgie der Oberlinklinik, Dr. Robert Krause. Für jede Grunderkrankung stehen spezifische Prothesen zur Verfügung. Der Prothesentyp ist abhängig von dem Lebensalter und dem funktionellen Anspruch des Patienten und darüber hinaus von der Erfahrung des Operateurs. Dem Operateur stehen dabei Kappenprothesen, die den Humeruskopf ersetzen, Duokopf-Prothesen, inverse Prothesen, die das gesamte Gelenk neu aufbauen sowie Fraktur-Endoprothesen zur Auswahl. Trotz dieses vielfältigen Angebots müsse die Verwendung kritisch überprüft werden. Es werde, so Krause, bei jeder Implantation viel Material eingebracht, im Falle einer Revision ist es oftmals schwierig, Prothesen auszutauschen und zu refixieren. Eine Schulterendoprothese sollte nur dann zur Anwendung kommen, wenn chronische Schmerzen und kritische Bewegungseinschränkungen die Funktion des Armes erheblich einschränken. Jeder Mensch, so Krause, sollte mit Hilfe seiner Arme in der Lage sein, sich selbstständig zu waschen, zu kämmen, zu rasieren und zu schminken. Diese Funktionen sind bei den oben angeführten Erkrankungen stark herabgesetzt und bedürfen von daher einer Behandlung. Bei 29 Patienten implantierte die Oberlinklinik, Abteilung für Extremitätenchirurgie, 2006 eine Prothese.
„Die Nachbehandlung und Rehabilitation”, so Krause, „ist dabei der entscheidende Faktor für ein gutes funktionelles Ergebnis.” Insbesondere die Schulter brauche zur Wiederherstellung des Bewegungsumfanges eine lang angelegte Reha-Planung.
Eine ambulante Rehabilitation ermöglicht es Patientinnen und Patienten, Rehabilitation wahrzunehmen, ohne auf Familie, Freunde, und das gewohnte Umfeld verzichten zu müssen: Sie schlafen zu Hause und kommen nur zur Behandlung in die Reha. Umfang und Intensität der Maßnahmen entsprechen dabei denen der stationären Rehabilitation.
Der leitende Physiotherapeut des Reha Zentrums, Immo Biagi, erläuterte anhand eines Fallbeispiels Art und Umfang einer ambulanten Reha: Bei einer 43-jährigen Patientin, die im Juli 2006 nach einem Sturz ein Stauchungstrauma der rechten Schulter erlitten hatte, kam es nach entsprechenden Spontanschmerzen zu einer zunehmenden Bewegungseinschränkung in den darauf folgenden Wochen und Monaten. Erst vier Monate später wurde ein MRT der rechten Schulter durchgeführt und dabei eine vollständige Ruptur der Subscapularissehne und eine adhäsive Kapselentzündung festgestellt. Die Therapie bestand in einer operativen arthroskopischen Refixation und Plastik am Kapselbandapparat sowie einer offenen Subscapularisnaht mit zwei Corkscrew-Ankern Anfang Januar im Oberlinhaus. Postoperativ wurde die Patientin mit einer Rauscherbandage für sechs Wochen versorgt. Bereits ab der vierten postoperativen Woche begannen assistierte Bewegungsübungen it einer Anteversion bis 60 Grad. Die Patientin wurde in der sechsten postoperativen Woche vom Hausarzt in die ambulante Reha des Oberlinhauses überwiesen. Dort wies sie an aktiven Bewegungen eine Anteversion von 30 Grad, eine Abduktion von 20 Grad, Außenrotation von null Grad auf. Der Nacken- und der Schürzengriff waren rechts nicht möglich. Nach fünf Wochen intensiver Betreuung konnte trotz der langen Inaktivität der schultergelenksführenden Muskulatur mit Hilfe der Manualtherapie und PNF-Methodiken das teilversteifte rechte Schultergelenk wieder mobilisiert werden. Das Ergebnis bei Entlassung wurde von der Patientin als funktionell befriedigend beschrieben. Die aktive Anteversion war auf 90 Grad, die Abduktion auf 85 Grad, die Außenrotation auf 10 Grad sowie die Innenrotation bis zur Höhe von LWK 5 möglich. Mit dieser Beweglichkeit war der Schürzengriff rechts möglich, der Nackengriff hingegen noch nicht. Sie hat mit weiterer Physiotherapie begonnen.
Abhängig vom Bedarf des einzelnen Patienten wird ein individuelles Trainingsprogramm zusammengestellt, führte die im Reha Zentrum im Oberlinhaus tätige Diplomsportwissenschaftlerin Mandy Spelda aus. Dieses besteht aus den folgenden Komponenten: Physiotherapie und Ergotherapie werden sowohl als Einzel- wie auch als Gruppentherapie angeboten und teilweise im Bewegungsbad angeboten. Solange die Beweglichkeit noch erheblich eingeschränkt ist, kann die Muskulatur mittels Elektrotherapie stimuliert werden. Darüber hinaus wird der Schulter-Nackenbereich massiert. Das Angebot wird ergänzt durch diverse Gruppenangebote wie Nordic Walking, Entspannungsübungen oder Pilates sowie ärztliche Vortrage im Gesundheitsprogramm. Alle Patienten, die eine ambulante Reha im Oberlinhaus machen, erhalten regelmäßig eine Visite.
Der Manualtherapie wird dabei besondere Bedeutung zugemessen. In ihr finden Automobilisation, Anbahnung, Propriozeption, Koordination, Kräftigung, Umsetzung der Bewegungsabläufe und eine dem Funktionsdefizit entsprechende Spezialisierung statt. Ein Ausdauertraining ist erforderlich, um die über lange Zeit untrainierte Muskulatur belastungsfähiger zu machen und die Stoffwechsellage zu verbessern. Ziel der Therapie ist es deshalb, die Symmetrie der Muskulatur wieder herzustellen, die Muskelmasse und den Muskelquerschnitt zu erhöhen und mehr wieder Kraft in der betroffenen Extremität aufzubauen. In der Umsetzung stehen die Alltagsmotorik, sportartspezifisches Training und die Verbesserung spezifischer, z. B. beruflicher Bewegungsabläufe im Vordergrund.
Sportwissenschaftler wie Mandy Spelda bilden im Reha-Team quasi die Schnittmenge zwischen einem therapeutischen Ansatz und einem konsequenten Aufbautraining, das auch für Sportler zur Anwendung kommen könnte. Die Bewegungen, die trainiert werden, erfolgen unter Berücksichtigung von sportwissenschaftlichen, medizinischen, padägogischen und psychologischen Elementen.
Leider nehmen nur 15 Prozent aller Reha-Patienten diese Therapie ambulant wahr, bedauert der leitende Arzt des Reha Zentrums im Oberlinhauses und ehemalige MDK-Prüfer, Sigurd W. Doebel. Dabei wird im §40 SGB V der ambulanten Reha Vorrang vor stationären Leistungen gegeben. Aber der Großteil der Patienten entscheidet sich oft aus Unkenntnis für die stationäre Reha. Leider sei das Wissen um die ambulanten Reha-Möglichkeiten auch bei vielen Ärzten eher gering. Wenn der Antrag an die Krankenkasse richtig gestellt werde, ermutigte Doebel seine Zuhörer, sei die Hürde bis zur Genehmigung leicht zu nehmen. Doebel erläutert die Bedingungen, die dafür erfüllt werden müssen:
Um eine Reha-Leistung in Anspruch nehmen zu können, muss der Arzt zunächst klären, ob der Patient einen Anspruch auf rehabilitative Maßnahmen hat. Nur wenn die kurative Versorgung nicht ausreicht, die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert ist, sich Hinweise auf ein Berufskrankheit ergeben und sich abzeichnet, dass der Patient von den Maßnahmen profitieren würde, können nach §20 (Prävention), §23 (med. Vorsorgeleistungen) und §40 (Rehabilitative Maßnahmen) SGB V Leistungen gewährt werden. Ergänzende Leistungen wie Teilhabe am Arbeitsleben, allgemeine soziale Eingliederung und Patientenschulungsmaßnahmen regelt der §43 SGB V. Innerhalb von drei Wochen muss die Krankenkasse über einen Reha-Antrag befinden. Wenn noch ein Gutachten eingeholt werden müssen, verlängert sich diese Frist um bis zu vier Wochen. Das Reha Zentrum im Oberlinhaus hilft niedergelassenen Ärzten gerne, wenn es Fragen zur Antragstellung geben sollte.
Doebel kritisierte die unzureichende Versorgung vieler Patienten, die nach ihrer Operation keine umfassende Reha erhielten. Zwar bekämen viele dieser Patienten eine Bewegungsschiene zur passiven Physiotherapie verordnet, allerdings ohne ein erkennbares durchgängiges Konzept. Wenn es allerdings lediglich zur Behandlung mit der Bewegungsschiene kommt, so Doebel, sei der Schaden oftmals größer als der Nutzen. Deshalb plädierte Doebel dafür, die Anwendung der Bewegungsschiene in ein umfassendes Nachbehandlungsprogramm zu integrieren, wie es im Reha-Zentrum Praxis ist. Niemand werde allein von der Bewegungsschiene schneller mobil. Doebel: „Im Zeitalter der „Beschleunigung”, bei der ein Therapieerfolg sich schnellstmöglich einzustellen habe, ist mir jede Physiotherapie lieber als die Schiene!”
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