Thiamin, Aneurin, Antiberiberi-Faktor.
Thiamin ist im Pflanzen- und Tierreich weit verbreitet. Es ist in den meisten Lebensmitteln enthalten, allerdings nur in kleinen Mengen. Die beste Thiamin-Quelle ist Bierhefe. Andere Quellen sind Schweine-, Rind- und Lammfleisch, Geflügel, Vollkornprodukte, Nüsse, frische und getrocknete Hülsenfrüchte. Beim Mahlen von Getreide zur Herstellung von Weibmehl und beim Polieren von braunem Reis werden die thiaminreichen Kleieschichten allerdings entfernt.
Neben einigen Pflanzen und Mikroorganismen, die selbst Vitamine bilden können, müssen alle anderen Lebewesen, auch der Mensch, Thiamin mit der Nahrung aufnehmen.
Vitamin B1 ist empfindlich gegen Hitze, Sauerstoff, Alkalien und UV-Strahlung. Da Thiamin wasserlöslich ist, gehen etwa 25 Prozent beim Kochen verloren. Beachtliche Mengen werden aus dem Tauwasser von tiefgefrorenem Fleisch oder dem Kochwasser von Fleisch und Gemüse ausgeschwemmt. Deshalb sollte man geschlossene Töpfe oder Pfannen und wenig Wasser verwenden sowie die Kochzeiten niedrig halten. Bratensaft oder Kochwasser kann in Eintöpfen oder Saucen wiederverwendet werden.
Eine Reihe von Lebensmitteln wie Kaffee, Tee, roher Fisch, Betelnüsse und einige Getreidearten können antagonistisch gegenüber Thiamin wirken. Medikamente, die Übelkeit und Appetitlosigkeit verursachen, die die Verdauung und die Ausscheidung erhöhen, können die Bioverfügbarkeit von Thiamin verringern. Bei Vergiftungen mit Arsen oder anderen Schwermetallen zeigen sich die neurologischen Symptome eines Thiaminmangels. Diese Metalle verhindern die Umwandlung von Thiamin in seine Wirkform.
Vitamin B 6, B 12, Niacin und Pantothensäure.
Als Coenzym ist Thiamin essentieller Bestandteil des Kohlenhydratstoffwechsels. Coenzyme aktivieren Enzyme (Proteine), die viele biochemische Reaktionen im Organismus kontrollieren. Die Wirkform von Thiamin ist Thiamindiphosphat (TDP), früher auch Thiaminpyrophosphat (TPP) genannt. TDP ist an der Umwandlung von Glucose in Energie beteiligt. Es ist Coenzym der oxidativen Decarboxylierung und der Transketolase im Pentosephosphatzyklus. Darüber hinaus ist Thiamin an der Reizübertragung im Nervensystem und der aeroben Metabolisierung beteiligt.
Eine Reihe von Ernährungserhebungen haben gezeigt, daß eine suboptimale Thiaminversorgung relativ häufig anzutreffen ist. Deshalb zählt man Thiamin auch zu den kritischen Nährstoffen. Eine Thiamin-Unterversorqung äußert sich zunächst in unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Reizbarkeit und Konzentrationsmangel. Besonders häufig tritt eine Thiaminunterversorgung in folgenden Situationen auf:
Die wichtigsten Vitamin-B 1-Hypovitaminosen sind Beriberi und das Wernicke-Korsakow-Syndrom. Beriberi ist durch Störungen des neurologischen und kardiovaskulären Systems gekennzeichnet. Man unterscheidet drei Formen der Erkrankung: die “trockene” Beriberi, eine Polyneuropathie mit schwerer Muskelschwäche; die “feuchte” Beriberi mit Ödemen, Anorexia, Muskelschwäche, mentaler Verwirrung und Herzversagen; und die “infantile” Beriberi, bei der es plötzlich zum Auftreten von Erbrechen, Krämpfen, kolikartigen Bauchschmerzen und Anorexia kommt und die zum Tod durch Herzversagen führen kann. Beriberi trat endemisch vor allem in solchen Ländern ( z. B. Südostasien) auf, in denen polierter Reis (der nur noch einen Bruchteil der Ausgangskonzentration an Thiamin enthält) Hauptnahrungsquelle ist.
Heute ist man dazu übergegangen, Reis und andere Getreidesorten mit Vitaminen anzureichern, um den Vitaminverlust bei der Bearbeitung auszugleichen.
Häufiger trifft man deshalb auf das sogenannte Wernicke-Korsakow-Syndrom. Der Mangel wird hier durch eine Reihe von Faktoren hervorgerufen. Dazu zählen auch die verminderte Nahrungsaufnahme durch chronischen Alkoholmißbrauch sowie eine verminderte Absorption oder ein gesteigerter Bedarf. Chronisches Erbrechen kann auch die Ursache für einen Thiaminmangel sein. Als Symptome treten Verwirrtheitszustände, Depressionen bis hin zu Psychosen oder Koma auf. Bei zu später Behandlung kommt es zu irreversiblen Gedächtnisstörungen.
Der Thiaminbedarf ist aufgrund seiner zentralen Stellung im Kohlenhydratstoffwechsel abhängig von der Energiezufuhr. Nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (1991) beträgt der tägliche Bedarf 0,5 mg Vitamin B 1 pro 1000 kcal für Erwachsene. Unter Annahme eines mittleren Energieumsatzes sollten Frauen etwa 1,1 -1,3 mg und Männer etwa 1,3-1,6 mg Thinmin täglich aufnehmen. In Schwangerschaft und Stillzeit werden etwa 0,3 - 0,5 mg Vitamin B 1 zusätzlich empfohlen. Kinder haben einen geringeren Vitamin B 1-Bedarf: Er liegt bei 0,3 - 0,4 mg für Säuglinge und 0,7 -1,4 mg bei Kindern, abhängig vom Alter und der Kalorienaufnahme.
Thiamin wird in Supplementen meistens zusammen mit den anderen B-Vitaminen oder als Bestandteil von Multivitaminpräparaten angeboten.
Thiamin besitzt eine große therapeutische Breite. Nach längerer oraler Einnahme hoher Dosen können in Einzelfällen Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, Tachykardie, Hautreaktionen mit Juckreiz und Urticaria auftreten. Diese Reaktionen sind jedoch nur vorübergehender Natur.
Im Zweiten Weltkrieg begann man in den USA mit der Anreicherung von Mehl, Getreideprodukten, Nudeln und Reis. Andere Länder folgten diesem Beispiel. Die Anreicherung von Grundnahrungsmitteln hat in den westlichen Industrienationen zum “Aussterben” der typischen Mangelkrankheiten geführt.