Der Münchner Kardiologe Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Sigmund Silber hat sich für uns auf dem diesjährigen, wiederum nur virtuell stattfindenden Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) umgesehen und uns einen, vor allem für Patienten, interessanten Bericht verfasst.
In einem weltweiten Register starben 17% der in einem Krankenhaus aufgenommenen Patienten innerhalb eines Monats. Zu neuen Therapieformen gibt es keine großen Fortschritte, aber mit dem alten Medikament Colchizin zeigte sich zumindest ein Trend zur geringeren Notwendigkeit einer Beatmung und zu geringerer Sterblichkeit. Bei speziellen Patienten sollte nach der Entlassung die “Blutverdünnung” mit niedrig dosiertem Rivaroxaban (Xarelto® 10mg/d) fortgeführt werden. In einer anderen Studie schützte überraschend eine Influenza-Impfung bei Patienten nach Herzinfarkt vor einer COVID Erkrankung. Somit sollten Patienten, die mit einem Herzinfarkt in eine Klinik eingewiesen werden, vor ihrer Entlassung eine Influenza-Impfung erhalten.
Für Patienten mit schwachem Herzen (Herzinsuffizienz, linksventrikuläre Auswurffraktion = LV-EF unter 40%) gibt gute Nachrichten: Zwei der für diese Erkrankung neuen Medikamente der Gliflozin-Gruppe (“SGLT-2 Inhibitoren”) werden jetzt auf der höchsten Stufe (I A) empfohlen: Dapagliflozin (z.B. Forxiga®, 10 mg/Tag) und Empagliflozin (z.B. Jardiance®, 10mg/Tag). Die positive Wirkung beruht vor allem auf Vermeidung von Krankenhausaufenthalten und Senkung der Sterblichkeit !
Die I A Empfehlung wurde aber nicht nur für diese beiden Substanzen ausgesprochen, sondern auch für die Substanzgruppen der Betablocker, MRAs (Mineralokortikoid-Antagonisten, z.B. Eplerenon) und ACE-Hemmer (z.B. Ramipril) bzw. ARNI (z.B. Entresto®). Neu ist auch, dass “die fantastischen 4” möglichst rasch und weitgehend zeitgleich - auch wenn zunächst in niedrigeren Dosen - verabreicht werden sollen und nicht erst mühsam nach Dosissteigerung hintereinander. Somit ist das Ende der Stufentherapie eingeleitet, was für die Patienten einfacher wird. “Wassertabletten” (Diuretika) werden auch empfohlen - aber nur bei relevanter Überwässerung. Wenn diese Medikamente nicht ausreichen wird eine weitere neue Substanz (Veriziguat = Verquvo®) empfohlen - allerdings auf einem niedrigeren Empfehlungsgrad (IIb B).
Für die Patienten (und auch für manche Ärzt*innen) ist die “Herzinsuffizienz mit normaler Auswurffraktion” ein verwirrender Begriff. Aber in der Tat kann auch ein “starkes Herz” mit einer Herzschwäche aufgrund von einer gestörten Erschlaffungsphase verbunden sein. Bislang gab es für dieses Krankheitsbild (HFpEF = heart failure with preserved ejection fraction) keine wissenschaftlich fundierte medikamentöse Therapie. Nun wurde die EMPEROR-Reduced Studie an fast 6.000 Patienten vorgestellt, in der das Empagliflozin (siehe oben) auch in dieser Patientengruppe erfolgreich war - vor allem aufgrund einer - im Vergleich zu Placebo - geringeren Notwendigkeit von Krankenhausaufenthalten.
Muss jetzt jeder eine “Herzuhr” tragen? Wie bekannt, ist eine bestimmte Herzrhythmusstörung, “Vorhofflimmern” genannt, die häufigste Ursache für einen Schlaganfall, der durch eine rechtzeitige “Blutverdünnung” verhindert werden kann. Oft wissen die Patienten aber gar nicht, dass sie Vorhofflimmern haben - der Schlaganfall kommt “aus heiterem Himmel”, obwohl er hätte vermieden werden können. Eine moderne und die Patienten nicht belästigende Diagnostik kann anhand einer “Herzuhr” (als Armbanduhr) erfolgen, die imstande ist, EKGs von guter Qualität aufzuzeichnen. In der randomisierten LOOP-Studie wurde dies an über 6000 Personen untersucht. Vorhofflimmern wurde bei 32% der Gruppe mit der “Herzuhr” gefunden, aber nur in 12% der Kontrollgruppe. Weitere Studien müssen noch klären, ab welcher “Vorhofflimmerlast” ein “Blutverdünner” verschrieben werden muss.
Eine höhergradige Verengung der Halsschlagader kann ebenfalls zu einem Schlaganfall führen. Die Frage, ob Stent (ohne “Aufschneiden”) oder Operation (mit “Aufschneiden) wird seit vielen Jahren untersucht. In den Leitlinien wird primär ein Operation empfohlen. Die ACST-2 Studie leistete hierzu einen weiteren Beitrag: randomisiert wurden über 3600 asymptomatische Patienten, nach 5 Jahren war die Rate an schweren Schlaganfällen mit jeweils 2,5% in beiden Gruppen identisch. Allerdings waren “kleinere Schlaganfälle” nach Stenting mit 2,7% häufiger als in der OP-Gruppe mit 1,9%.
Die zahlreichen Risikofaktoren für einen Herzinfarkt sind hinlänglich bekannt, wie z.B. Nikotinkonsum, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und hohe Cholesterinspiegel. Das wohl häufigste in diesem Zusammenhang durchgeführte bildgebende Verfahren ist die Ultraschalluntersuchung der Halsschlagadern - obwohl der direkte Rückschluss von den Halsschlagadern auf die Herzkranzgefäße ziemlich problematisch ist. Die auf diesem Kongress vorgestellten neuen Präventionsleitlinien empfehlen die Ultraschalluntersuchung der Halsschlagadern jetzt nur noch als mögliche Alternative, wenn der Kalkscore der Herzkranzgefäße (mit dem Herz-CT) nicht bestimmt werden kann. Da dies aber in Deutschland das Herz-CT überall zur Vefügung steht, sollte der Kalkscore jetzt häufiger als Risikomarker für einen Herzinfarkt bestimmt werden, zumal die Strahlenexposition mit ca. 1 mSv gering ist.
Aktuelle Leitlinien empfehlen, die tägliche Menge von Kochsalz (Natriumchlorid = NaCl) auf maximal 5 Gramm zu begrenzen. Allerdings gibt es Hinweise, dass ein spezielles Salzgemisch mit Kaliumanteilen Schlaganfälle verhindern kann. Dies wurde in der “Salt Substitute and Stroke Study” geprüft: in China wurden über 20.000 Patienten entweder zu einem Gemisch aus 70% NaCl und 30% Kaliumchlorid (= KCl) oder zur “regulären” Salzeinnahme randomisiert und über 6 Monate beobachtet. Hierbei konnte das “gesunde Salzgemisch” nicht nur die Schlaganfallrate, sondern auch die Sterblichkeit signifikant senken. Der Kaliumspiegel im Blut wurde nicht negativ beeinflusst. Es wurde dann die Empfehlung ausgesprochen, weltweit das “normale Salz” durch das “gesunde Salz” zu ersetzen.