Sie sind in aller Munde und Krankenkassen werden nicht müde sie ihren Versicherten - vor allen jenen mit chornischen Erkrankungen wie Diabetes oder KHK - anzupreisen. Doch lässt sich mithilfe von Telemedizin und Trainings-Apps die Gesundheit von Menschen mit Typ-2-Diabetes und Koronarer Herzerkrankung verbessern? Dieser Frage ging man im Team von Prof. Martin Halle an der Technischen Universität München (TUM) nach. Das Ergebnis ist allerdings ernüchternd, zeig es doch deutlich: Die positiven Effekte sind gering. Denn Prof. Halle sieht in den Ergebnissen dieser groß angelegten Studie deutliche Hinweise auf falsche Prioritäten in der medizinischen Versorgung. Eine direkte Betreuung durch medizinisches Fachpersonal bleibe unverzichtbar.
Die veranlasste Studie an elf deutschen Standorten sollte herausfinden, ob Telemedizin und Trainings-Apps dabei helfen können. Die Ergebnisse sind im renommierten Fachmagazin „Nature Medicine“ erschienen. Für die Studie wurden 502 Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes und einer koronaren Herzerkrankung, ausgewählt. Die Studienteilnehmer (allerdings zu 84% Männer) wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Kontrollgruppe wurde wie gewohnt ärztlich betreut und erhielt eingangs standardisierte Ernährungsempfehlungen und Infomaterial zu körperlicher Aktivität. Die zweite Gruppe erhielt zusätzlich unter anderem ein individualisiertes, App-gestütztes Sportprogramm für zuhause und mehrmalige personalisierte Ernährungstipps. In den ersten sechs Monaten wurden die Teilnehmenden dabei durch regelmäßige Telefonate begleitet. In einer zweiten Phase sollten sie die Übungen selbständig befolgen.
„Nach den ersten sechs Monaten konnten wir bei der Interventionsgruppe eine Verbesserung des Langzeitblutzuckers um -0,13 Prozentpunkte feststellen“, sagt Erstautor Dr. Stephan Müller. Das ist zwar eine geringe Verbesserung aber statistisch signifikant. Einen Einfluss auf andere Risikofaktoren wie Blutdruck oder Cholesterinwerte hatte das Training nicht. Betrachtet man nur Teilnehmende, die tatsächlich die Trainings- und Ernährungsvorgaben befolgt haben, liegt die Verbesserung bei fast -0,3 Prozentpunkte, was auch aus klinischer Sicht relevant ist. Zudem zeigten sich hier auch statistisch signifikante Effekte auf Körpergewicht, Bauchumfang und einen der Blutfettwerte, die Triglyceride. Nach Ende der zweiten Phase waren im Vergleich zur Kontrollgruppe keine Vorteile mehr festzustellen.
Schon in den ersten sechs Monaten erfüllten nur 41 Prozent die Mitmachkriterien für die Bewegungsübungen, wirkten also „ausreichend“ mit. Unter denen, die „nicht ausreichend“ mitwirkten, erreichte fast die Hälfte das Ziel nicht in einer einzigen Woche. Mehr noch: Rund ein Viertel aller Teilnehmenden fing erst gar nicht mit dem Training an. Unter Umständen waren Technologiebarrieren mitverantwortlich dafür. Mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden – Durchschnittsalter 68 – gaben an, den Umgang mit Apps und Geräten allgemein „eher schwierig“ zu finden.
Für den Sportmediziner und Sportkardiologien Martin Halle sind große Studien wie diese wichtig, um den tatsächlichen Erfolg von App-basierten Ansätzen zu messen. Deutschland ist das erste Land in Europa, in dem digitale Leistung als ärztliche Leistung von den Krankenkassen honoriert wird. Auch durch den Mangel an Ärztinnen und Ärzten werde laut Halle hierzulande viel Hoffnung in Gesundheitsförderung durch Apps und ähnliche Angebote gesetzt.
Allerdings: Auch wenn die individualisierte Begleitung, die hier erprobt wurde, sehr aufwendig war so zeigt die Auswertung, dass dieser Aufwand wenig Ertrag geliefert hat. Zum Teil liege das sicher, daran, dass die Betroffenen in einem Alter seien, in dem es vielen schwerfalle, sich mit neuen Technologien zurechtzufinden. „Ältere Menschen sind aber nun einmal die Gruppe, die von diesen und ähnlichen Erkrankungen besonders betroffen sind.“ Man kann bzw. muss also davon ausgehen, dass eine ganzheitliche Herangehensweise notwendig ist. Aber auch, dass der aktuelle App-Hype relativiert werden muss. So bleibt die persönliche Betreuung vorerst ein unverzichtbarer Bestandteil der Patientenversorgung. Ein rein App-basierter Ansatz ist zumindest für das deutsche Gesundheitssystem (noch) keine Lösung.