Prof. Dr. Falk Nimmerjahn von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) sowie Kollegen aus den Niederlanden und Großbritannien, haben das Immunglobulin G oder kurz IgG, das im Körper von Menschen und Tieren für einen langfristigen Schutz vor Infektionen sorgt, untersucht. Die Erkenntnisse, die zu sie herausfanden, wurden nun veröffentlicht.
Schon lange weißt man, dass nicht nur bei der Behandlung von Tumoren und Infektionen Antikörper als unverzichtbar gelten. Aber nicht immer ist das hilfreich, denn mitunter kann die so ausgelöste Immunreaktion über das Ziel hinausschießen und zum Beispiel mit Covid-19 infizierte Menschen zusätzlich schädigen. Dabei ließe sich das durchaus durch ein Fein-Tuning vermeiden.
Das Immunglobulin G oder kurz IgG sind in der modernen Medizin häufig eingesetzte Biomoleküle. Sie bestehen aus zwei langen und zwei kürzeren Proteinketten, die sich paarweise so aneinanderheften, dass eine Y-förmige Struktur entsteht. Viele Jahre betrachtete die Forschung dabei lediglich die beiden oberen Äste dieses Y: Deren beiden Enden bilden eine Art Tasche, in die kleinere Strukturen auf der Oberfläche von Bakterien und anderen Erregern ähnlich perfekt passen, wie ein Schlüssel in ein Schloss.
Genau wie ein Schlüsseldienst mit wenigen Veränderungen sehr viele unterschiedliche Schlösser und die jeweils dazu passenden Schlüssel herstellen kann, produziert auch das Immunsystem sehr viele unterschiedliche Strukturen an den Enden von Immunglobulinen, die so zu vielen verschiedenen Erregern passen. Nach einer Infektion mit einem bestimmten Bakterium oder Virus patrouillieren die im Rahmen der Abwehrreaktionen entstandenen IgG für diese Erreger sehr lange im Körper und können bei einer erneuten Infektion sehr schnell reagieren.
Wenn der Schlüssel ins Schloss passt, hängt das Immunglobulin am Erreger und markiert ihn so für andere Abwehrspezialisten des Immunsystems. Der Antikörper hat also die Funktion einer Markierung, die Tumorzellen oder Krankheitserreger in einer riesigen Menge von Körperzellen und harmlosen Mikroorganismen, die im Organismus von Menschen und Tieren wichtige Funktionen übernehmen, erkennbar macht.
Hat das geklappt, kommt der Stamm des Y-förmigen IgG ins Spiel. Nun übernehmen nämlich Makrophagen, Killerzellen und Granulozyten die Endphase im Kampf gegen eine Infektion. „Und das kann durchaus ein Teamwork sein, in dem Granulozyten in die Rolle eines Selbstmord-Attentäters schlüpfen“, erklärt Falk Nimmerjahn. Angelockt vom Antikörper, der sein Ziel gefunden hat, sprengen diese Zellen sich selbst in die Luft und schleudern dabei auch ihr Erbgut aus dem Kern, das relativ klebrig ist. Genau dort bleiben daher die Bakterien kleben, die das IgG vorher als schädlich identifiziert hatte.
Diese oft sehr gefährlichen, jetzt aber hilflosen Mikroorganismen sind ein gefundenes Fressen für die ebenfalls angelockten Makrophagen, die von den Antikörpern aufgestöberte und markierte Bakterien vertilgen. Dabei nehmen die Fresszellen oft wenig Rücksicht auf Verluste. Wenn bei diesem Wettlauf zwischen Leben und Tod die Zeit drängt, nimmt man eben Kollateralschäden in Kauf – und setzt zum Beispiel Sauerstoff-Radikale und andere gefährlichen Produkte frei, die sonst unschädlich gemacht werden. Bei den meisten Patientinnen und Patienten spielt das keine Rolle: In erster Linie soll der Mensch überleben, dabei entstandene Schäden lassen sich später sicher noch reparieren.
Geregelt wird eine solche Immunreaktion unter anderem mit kleinen Veränderungen am Stamm des Immunglobulins, die nach der eigentlichen Montage des Antikörpers von den Zellen dort noch nachträglich angebracht werden. Dabei werden unter anderem kleine Zuckermoleküle an den Stamm des Immunglobulins angefügt. Genau die aber scheinen für das Fein-Tuning der Immunabwehr wichtig zu sein: „Fehlen die richtigen Komponenten, fällt die Immunreaktion viel stärker aus“, nennt Falk Nimmerjahn eine wichtige Stellschraube.
Das aber kann fatal sein, wenn zum Beispiel eine Virusinfektion das Gewebe ohnehin bereits stark geschädigt hat. Steht der Regler am Stamm des Immunglobulins dann auf wenig Zucker und damit auf einer starken Reaktion, kann das eine bereits ohnehin bis an ihre Grenzen strapaziertes Organ, wie etwa die Lunge im Rahmen einer Virusinfektion, gefährlich stark schädigen. „Der Organismus stellt diese Regler daher sehr fein ein“, schildert Falk Nimmerjahn die Situation. Für solche Fälle stellen sie die Modulation daher auf eine schwache Reaktion mit vielen Zuckerketten. Die genaue Kenntnis dieses Antikörper-Tunings im Rahmen einer Immunantwort ist die Grundlage, um Antikörper für die Behandlung von Tumor- und Autoimmunerkrankungen noch besser und verträglicher zu machen.
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