Bisphosphonate sind eine Gruppe von Medikamenten, die zur Behandlung von Knochenerkrankungen, insbesondere Osteoporose und Knochenmetastasen, eingesetzt werden. Sie sind chemisch eng mit den Pyrophosphaten verwandt, die natürlicherweise im Körper vorkommen und eine Rolle im Knochenstoffwechsel spielen. Bisphosphonate werden jedoch in veränderter Form hergestellt, um ihre therapeutische Wirkung zu verstärken. Bisphosphonate töten im Knochen Zellen ab, die Knochenmasse abbauen. Neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass sie zum Beispiel die Aktivierung von T-Zellen oder Fresszellen des Immunsystems fördern - oder die Reaktion von T-Zellen und Antikörpern auf Viren verstärken. Darüber hinaus fand eine Studie aus Australien, dass Patient:innen, die regelmäßig Bisphosphonate einnahmen, auf der Intensivstation einen günstigeren Verlauf hatten als Kontrollgruppen.
In einer US-amerikanischen Studie, an der auch die LMU beteiligt war, konnte nun gezeigt werden, dass Patient:innen, denen Bisphosphonate verschrieben wurden, weniger häufig an COVID-19 erkrankten als jene, die diese nicht erhielten. Obwohl es mehrere wirksame Impfstoffe gegen COVID-19 gibt, sind die Impfraten in vielen Regionen der Welt unzureichend, um eine anhaltend hohe Krankheitslast und das Auftreten neuer Virusvarianten zu verhindern. „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir in den nächsten Jahren neue Viruswellen bekommen. Dann wäre es gut, weitere Wirkstoffe zu haben, die den Verlauf einer Virusinfektion günstig beeinflussen“, sagt Prof. Dr. Stefan Endres, Direktor der Abteilung für Klinische Pharmakologie am Klinikum der LMU. Mit ihrer Studie wollten die Forschenden an einer großen Population untersuchen, ob Patient:innen, die Bisphosphonate einnehmen, seltener oder weniger schwer an COVID-19 erkranken.
Das Studienteam analysierte eine US-amerikanische Datenbank mit fast acht Millionen Patient:innen, für die von Januar 2019 bis Juni 2020 kontinuierliche medizinische Versicherungsdaten inklusive Medikamentenverschreibungen vorlagen. Etwas mehr als 450.000 dieser Patienten bekamen Bisphosphonate verordnet (und nahmen sie wahrscheinlich auch ein).
Im Vergleich zu 450.000 Patient:innen (gleichen Alters, Geschlechts, mit vergleichbaren Grunderkrankungen usw.) bekamen die Bisphosphonat-Anwender:innen seltener COVID-19 und erlitten weniger schwere COVID-19-Verläufe. Außerdem mussten sie seltener wegen einer Coronainfektion im Krankenhaus behandelt werden. „Dieser statistische Effekt war stark - eine Reduktion um mehr als 50 Prozent - und hat die Forscher überrascht“, sagt Prof. Endres.
Da es sich bei Bisphosphonat-Anwendern häufig um ältere, wenig mobile Menschen handelt, die möglicherweise seltener als andere das Haus verlassen und sich deshalb auch seltener infizieren, verglichen die Forscher die untersuchte Bisphosphonat-Gruppe auch mit Osteoporose-Patient:innen, die mit anderen Osteoporose-Medikamenten behandelt wurden. „Und trotzdem“, so der Münchner Mediziner, „blieb die Korrelation der Bisphosphonat-Therapie mit weniger COVID-19-Ereignissen bestehen.“ Korrelation bedeutet: Beides - in diesem Fall die Bisphosphonat-Einnahme und weniger COVID-Ereignisse - scheint zusammenzuhängen.
Wäre es also sinnvoll im nächsten Winter Bisphosphonate schlucken? „Nein“, sagt Prof. Endres. Erstens muss der genaue Wirkmechanismus auf das Immunsystem noch geklärt werden. Zweitens sind Bisphosphonate weder zur Vorbeugung noch zur Behandlung von Halsentzündungen oder anderen Atemwegsinfektionen zugelassen. Und drittens muss in einer so genannten prospektiven Studie noch geklärt werden, ob es auch einen kausalen Zusammenhang zwischen der Therapie mit Bisphosphonaten und günstigeren COVID-19-Verläufen gibt.
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