Waldbaden, Waldeinsamkeit, Wald, einfach Wald - er ist im Trend und selbst Stadtleute können einen Ausflug in den Wald meist problemlos unternehmen. Denn es gibt ihn fast überall, einen kleinen oder großen Wald und damit seine damit verbundenen Heilkräfte! Schon ein halbstündiger Ausflug in den Wald hilft beim Stressabbaum mehr als jede Chemie und, so die Ärztin Petra Jürgens, “die sanften Reize des Waldes wirken besonders entspannend”.
Doch das Wissen um die Kräfte des Waldes ist nicht neu. Bereits 1984 öffnete eine Studie im Wissenschaftsmagazin Science das Tor zum Forschungsfeld Wald. 46 Patientinnen und Patienten eines US-Krankenhauses, denen die Gallenblase entfernt wurde kamen nach der Operation in zwei verschiedene Arten von Zimmern. Die eine Hälfte blickte durchs Fenster auf eine Backsteinmauer, die andere Hälfte auf ein paar Bäume. Ergebnis: Die zweite Gruppe erholte sich schneller, benötigte zudem nur halb so viele Schmerzmittel und durfte einen knappen Tag früher nach Hause als jene mit Blick auf die Backsteinmauer.
Doch wie kann der Anblick von ein paar Bäumen eine solche Wirkung haben? Dazu gibt es verschiedene Theorien, erklärt die Medizinerin Petra Jürgens von TÜV NORD. In den Achtzigerjahren entwickelte ein Biologe der Harvard University die Biophilie-Hypothese. Demnach braucht der Mensch die Natur, um gesund und glücklich zu sein. Einer anderen Annahme zufolge füllt die Natur die geistigen Ressourcen auf, weil dort die Aufmerksamkeit unangestrengt fließen kann.
Fachleute haben die erholsame Wirkung der Natur immer wieder in Experimenten untersucht und bestätigt. Ein Team um die Medizinerin Daniela Haluza von der Universität Wien hat den Stand der Forschung zusammengefasst. Sie spricht von einem ‚harmonisierenden Effekt der Natur‘: Der Aufenthalt im Grünen senke Puls und Blutdruck, Blutzuckerspiegel und die Konzentration von Stresshormonen in Blut und Speichel. So fanden US-Forscherinnen schon nach 20 bis 30 Minuten in der Natur deutlich weniger Stresshormone in den Speichelproben ihrer Versuchspersonen.
Studien zur heilsamen Wirkung des Waldes stammen überwiegend aus Japan und der dortigen Kultur des Waldbadens (Shinrin yoku), dem Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes. Und längst leiten Waldtherapeutinnen und -therapeuten auch bei uns dazu an, den Wald mit allen Sinnen wahrzunehmen.
Doch braucht es das überhaupt? Vielleicht reicht es schon, einfach nur dort zu sein. Zum Beispiel bei Depressionen: In Südkorea wurden rund 40 schwer depressive Patientinnen und Patienten in einem Universitätskrankenhaus mit Antidepressiva und einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt. Nach vier Wochen ging es 20 Prozent der Betroffenen deutlich besser. Fanden die Therapiesitzungen im Wald statt, waren es 60 Prozent, und der Spiegel des Stresshormons Cortisol war deutlich gefallen.
Ein Patent schied allerdings auf eigenen Wunsch aus, nachdem er von einem Insekt gestochen wurde und einen Ausschlag bekam. „Insektenstiche und Zeckenbisse zählen zu den unerfreulichen, in den überwiegenden Fällen jedoch harmlosen Risiken und Nebenwirkungen der Natur“, warnt Ärztin Petra Jürgens von TÜV NORD. Auch für Menschen mit Pollenallergie könne ein Aufenthalt im Grünen unangenehm werden. Und wer nicht gut zu Fuß ist, tut sich beim Laufen auf holprigen Pfaden womöglich schwerer als auf Asphaltwegen im Park. Doch mit wenigen Ausnahmen habe der Wald für jeden etwas zu bieten, sagt Petra Jürgens: lange Wanderungen, Kastanien sammeln, Tiere beobachten, aber auch Rasten und die Ruhe genießen. Wahrscheinlich sei es das Zusammenspiel der vielen sanften Reize, die so erholsam auf die Sinne wirken, erklärt die Ärztin. Die gute Luft und der Blick ins Grüne, das Rascheln der Blätter und der weiche Boden unter den Füßen: „Ein Wald ist mehr als eine Ansammlung von Bäumen.“