Wie haben Ärzte vor 500 Jahren gearbeitet? Wie haben sie Krankheiten erkannt und behandelt? Und wie sind sie mit Patienten umgegangen? Michael Stolberg von der Uni Würzburg hat dies untersucht – mit überraschenden Ergebnissen.
Georg Handsch war Arzt im 16. Jahrhundert. Kein herausragender oder revolutionärer Arzt, aber er brachte es nach dem Studium in Padua und Prag immerhin zum Leibarzt von Ferdinand II. von Tirol. Und er hat der heutigen Zeit ein großes Geschenk hinterlassen: Nämlich mehr als 4.000 Seiten handschriftlicher Notizen über seinen Arbeitsalltag als Arzt in der Renaissance.
Vor etwa zehn Jahren hat Professor Michael Stolberg, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, diese Notizen in einer Wiener Bibliothek entdeckt und ausgewertet.
Entstanden ist daraus und aus weiteren Quellen ein einzigartiges Buch, das nicht nur neue Erkenntnisse über die medizinische Praxis in der Renaissance liefert, sondern auch einen Fokus legt auf die Beziehungen zwischen Arzt, Patienten und deren Angehörigen in der damaligen Zeit. Die Arbeit „Gelehrte Medizin und ärztlicher Alltag in der Renaissance“ erschien vor kurzem im Verlag De Gruyter.
Die medizinischen Theorien aus der Renaissance – also vom 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert – sind weitestgehend bekannt. Wissenschaftliche Schriftstücke aus den damaligen Universitäten sind keine Seltenheit. „In meinem Buch geht es aber nicht um medizinische Theorien. Mir geht es vor allem um die Alltagspraxis“, erklärt Stolberg.
Dafür hat er gezielt nach Nachlässen und Manuskripten Ausschau gehalten – für viele eine eher unliebsame Aufgabe. Doch die hat sich gelohnt. Stolberg nennt Handschs Manuskripte einen „einzigartigen Schatz“. Sie zeigen unter anderem: Die damalige wissenschaftliche Theorie hatte mit der tatsächlichen Praxis weniger gemein als bisher angenommen.
Die Vier-Säfte-Lehre war damals wissenschaftlicher Konsens. Waren die vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – im Ungleichgewicht, so die Theorie, wurde der Mensch krank und es galt das Gleichgewicht wiederherzustellen. Doch Stolberg entnahm den Aufzeichnungen von Handsch und weiteren Manuskripten von Medizinstudierenden einen ganz anderen Grundgedanken: „Unsere Vorstellung davon, wie Ärzte damals Krankheiten verstanden haben, musste ich grundlegend revidieren. Im Vordergrund stand nicht das Säftegleichgewicht, sondern das Bemühen, die Krankheitsstoffe aus dem Körper zu entfernen“, sagt Stolberg.
Die wesentlichen Therapien, die Handsch und seine Kollegen anwandten, waren daher auch entleerende Verfahren. Sie sollten die Krankheitsstoffe nach draußen befördern. „Das waren an erster Stelle Abführ- und Brechmittel“, so Stolberg. Außerdem Mittel, die den Schleim aus Nase und Hirn lösten, die Menstruation förderten, oder auch Schwitzbänke. Und natürlich durfte der Aderlass nicht fehlen. Die Blutentleerung war dabei „nah an der Krankheit“. Bei Problemen mit dem Kopf gab es den Aderlass zum Beispiel an der Schläfe. Eine weitere beliebte Methode war das blutige Schröpfen mit warmen Gefäßen, die auf die angeritzte Haut aufgesetzt wurden und beim Abkühlen Blut ansaugten.
Ein anderer zentraler Punkt in Stolbergs Buch betrifft die Beziehung von Arzt und Patient. Diese war oft enger und auch verständnisvoller als bislang vermutet. Handsch hatte in seinen Notizen viele Beispiele, wie er und seine Kollegen Patienten und deren Angehörigen ein Krankheitsbild und die dazugehörige Behandlung erklärten. Für ihn war es zudem wichtig zu sehen, wie er mit Patienten und Angehörigen umgehen sollte. Er notierte beispielsweise ihre Reaktionen auf seine Gespräche.
Scheinbar haben viele Mediziner damals vorwiegend negative Prognosen zur Genesung ausgesprochen – und wurden bei Heilungen dann umso mehr verehrt. Eine Eigenart, die Handsch nicht unbedingt teilte. „Er wollte ihnen offenbar den Schrecken einer Prognose ersparten“, so Stolberg – „und fiel damit oft auf die Nase.“
Zwei bis drei Patienten am Tag waren laut Stolberg für die akademischen Ärzte der Renaissance die Regel. „Man kann dabei sehr gut sehen, dass die Ärzte damals Zeit hatten für ihre Patienten“, erklärt der Medizinhistoriker. Und wenn es sein musste, sprangen viele Ärzte über ihren Schatten und hatten ein enges Verhältnis zu Laienheilern und zur „Volksmedizin“. Kräutermedizin wurde daher auch aus Erfahrung genutzt – selbst wenn man nicht wusste, warum es gegen diese oder jene Krankheit half.
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