Als vor einiger Zeit die medizinische Fachgesellschaft DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e.V.) eine Pressemeldung versandte, die sich einmal nicht mit diversen Informationen rund um Blut und Krebs eschäftigte, musste man einfach weiterlesen, denn so oft kommt das ja nicht vor. Angekündigt wurde im Rahmen eines Kongresses in Wien eine Buchpräsentation, ebenfalls in der österreichischen Hauptstadt. Man hatte ein Buchprojekt unterstützt, welches ohne diese Hilfe möglicherweise gar nicht entstanden wäre. Die Biografie des Dr. Josef Löbel. Mag er vielen Lesern aus Josefs Roth Untergangsroman Radezktymarsch unter dem Namen Dr. Skowronnek vertraut sein, so wird ihn wohl kaum einer mit einem bis vor wenigen Jahren noch immer in der Backlist geführten Lexikon in Verbindung bringen: Knaurs Gesundheitslexikon, erschienen erstmals im Jahre 1930, verfasst vom Wiener Frauenarzt Dr. Josef Löbel! Der als Frauenarzt praktizierende Künstler- und Menschenfreund hatte nur einen Fehler, der zwar in der alte Donaumonarchie niemand störte, wohl aber in den folgenden Jahren des erstarkenden Nationalsozialismus: Er war Jude!
Dr.Löbel war weder Onkologe noch Hämatologe. “Aber als damals sehr bekannter Medizinjournalist, Kurarzt und Schriftsteller begleitete er die junge Disziplin der „Krebsforschung“, als sie sich in Berlin, Heidelberg und Frankfurt gerade zu formieren begann und dabei stets den Angriffen von Chirurgen und Gynäkologen ausgesetzt sah.” Der medizinische Schreibstar war aber auch Verfasser zahlreicher populärmedizinischer Bücher, die in 16 Sprachen übersetzt wurden. Doch so bekannt Dr. Josef Löbel (1882-1942) zu Lebzeiten auch war, nach dem Krieg fiel die Erinnerung an den von den Nazis in den Selbstmord getriebenen „heitere Menschenfreund“, wie ihn Thomas Mann bezeichnete, in ein schwarzes Loch: Niemand fühlte sich mehr zuständig für den österreichisch-deutsch- böhmisch-tschechischen Schriftstellerarzt. Schon gar nicht der Verlag, der ja auch nach dem Krieg weiterbestand und das (mehrfach von anderen Autoren überarbeitete) Gesundheitslexikon bis in die 90Jahre vertrieb.
Erst jetzt, 90 Jahre nach Erscheinen von Knaurs Gesundheitslexikon würdigt die DGHO als Herausgeber den einstigen jüdischen Erfolgsautor. Chapeau der Gesellschaft und dem Autor Professor Dr. med. Peter Voswinckel für diese Tat!
„Ausgerechnet sein Markenzeichen, der Namenszusatz ‚Löbel-Franzensbad‘, ist ihm zum Verhängnis geworden“, erläutert Prof. Dr. med. Peter Voswinckel, Leiter der Historischen Forschungsstelle der DGHO und Autor des Buches anlässlich der Buchpräsentation im Café Museum Wien. „Was seine Freunde in Berlin und Wien so attraktiv fanden, im Sommer Kurarzt in Franzensbad zu sein und im Winter Schriftsteller in Berlin, versperrte nach dem Krieg die Erinnerung an ihn: Franzensbad war zum Ausland ‚hinter der Grenze‘ geworden, Dr. Löbel zum Ausländer.“
Der Populärmediziner Löbel war wohl auch einer der ersten, der in seinem Werk u.a. auch die Krebskrankheit thematisierte und so die Außenwahrnehmung der jungen Disziplin „Onkologie“ mitgestaltete. Die Biografie von Voswinckel zeichnet in Text und Bild die Lebensgeschichte von Löbel zwischen Berlin, Wien und Franzensbad nach, beschreibt seine Vertreibung bis hin zu seinem Selbstmord 1942 in Prag und wie sein Bestseller „Knaurs Gesundheitslexikon“ in Nazi- Deutschland „arisiert“ und der jüdische Autor eliminiert wurde (1940). „Erst das jüngste Forschungsprojekt förderte Überraschendes zutage über Dr. Löbel und seine Familie“, betont Prof. Dr. med. Michael Hallek. Bedeutend sei auch die erstmalige Bereitstellung eines Fotos von Dr. Löbel und seiner Frau, die in Auschwitz umkam. „Damit gibt Voswinckel im wahrsten Sinne des Wortes den Opfern ein ‚Gesicht‘ zurück“, so Hallek.
Die akribisch recherchierte Publikation ist mit 230 Fotos, Dokumenten und Faksimiles liebevoll gestaltet und vermittelt eine durchaus neuartige Präsentation von Geschichte. Beigefügt ist auch das Grußwort eines 92-jährigen Löbel-Neffen aus New York, der 1938 als Zwölfjähriger mit einem „Kindertransport“ von Wien nach England entkam.
Das Buch ist kostenfrei über die Website der Fachgesellschaft zu beziehen.