Ich selbst habe meine Kindheit in den 70er Jahren verbracht. Eine Zeit des Überflusses und der Sorglosigkeit. Hunger musste bei uns keiner mehr leiden, neben den kleinen Tante-Emma-Läden eröffneten die ersten großen Supermärkte und Discounter. Süßigkeiten waren uns nicht fremd - das obligatorische Bonbon oder Traubenzucker-Stücken gab es beim Einkaufen mit unseren Müttern gratis in jedem Geschäft für uns Kinder. Als Hauptgetränk stand Limonade auf dem Tisch, Light-Produkte waren noch nicht erfunden, der Begriff „Body-Mass-Index (BMI)“ noch völlig unbekannt und die Fitnesswelle stand noch in den Startlöchern. Und trotzdem - wir Kinder waren nicht dick! Ich kann mich an ein dickes Mädchen in meiner Grundschulklasse erinnern - heutzutage würde sie wahrscheinlich noch als „moppelig“ durchgehen - damals musste sie ganz schön unter dem Spott ihrer Mitschüler leiden.
Und heute? Heute fahre ich fast täglich an einem Schulzentrum vorbei und bin entsetzt und bekümmert. Ich sehe viele, viele übergewichtige oder richtig dicke Kinder.
Als adipös d. h. fettleibig gilt, wer einen BMI von mehr als 30 erreicht. Übergewichtig ist, wer einen Wert von 25 überschreitet.
In Deutschland steigt die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen stetig an. In der sogenannten Kinder- und Jugendgesundheitsstudie (KIGGS) des Robert Koch-Institutes haben Experten Daten zur Gesundheit von Kindern erhoben. Demnach sind bereits 15 % Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig, 6 % gelten als adipös (2003 - 2006). Verglichen mit Referenzwerten von 1985 bis 1999 liegt ein Anstieg um 50 Prozent vor.
Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) warnte bereits 2014 vor einer regelrechten „Adipositas-Epidemie“.
Aber warum sind unsere Kinder heute so dick? Fachleute geben dem veränderten Lebensstil in Deutschland die Schuld.
Spätestens ab dem Schulalter verbringen Kinder ihre Zeit immer mehr sitzend: Sei es in der Schule, vor dem Fernseher oder vor dem Computer - es mangelt an Bewegung! Übervorsichtige Eltern fahren ihre Kinder mit dem Auto bis vor das Schultor. Freies, wildes Toben draußen? Dafür fehlt oft der Platz, die Zeit und die Freunde, denn der Nachmittag ist verplant mit Kursen und Hobbys. Gut tun Eltern daran, wenn wenigstens auch sportliche Aktivitäten dabei auf dem Kalender stehen. Neben der mangelnden Bewegung spielen natürlich auch die geänderten Ernährungsgewohnheiten eine große Rolle. Gab es früher noch drei regelmäßige Mahlzeiten, die gemeinsam als Familie am Küchentisch eingenommen wurden, so isst man heute dann, wenn man Hunger hat. Die Familie kommt selten zur gleichen Zeit von der Arbeit oder der Schule heim, der Kühlschrank und die Tiefkühltruhe sind mit Fertiggerichten und kalorienreichen Snacks gut gefüllt. Auch die Schulkantine bietet mit ihrer fleischreichen und gemüsearmen Kost keine gute Alternative.
Gemeinsam mit den Eltern eine Mahlzeit zuzubereiten und dabei kindgerecht etwas über gesunde Ernährung zu lernen? Dazu bleibt in unserer hektischen Zeit oftmals leider keine Zeit.
Hält diese Entwicklung an, wird in 40 Jahren jeder zweite Erwachsene unter Fettleibigkeit leiden. Und das wird nicht nur ein ästhetisches Problem sein. Die Folgen von Übergewicht und Fettleibigkeit sind:
Adipositas gilt laut WHO als Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit.
Neben staatlichen Maßnahmen zur Prävention wie z. B. die Aktionen „Kinder leicht - besser essen. mehr bewegen” für Ernährungsaufklärung und mehr Bewegung oder “Fit-Kid- Die Gesund-Essen-Aktion in Kitas” für bessere Ernährungsangebote, wird die Aufnahme von „Ernährungslehre“ als Unterrichtsfach in den Schulen diskutiert. Bis diese Maßnahmen aber greifen, sind die Folgen für unser Gesundheitssystem kaum abzuschätzen. Ökonomen gehen davon aus, dass ein adipöser Mensch etwa 40 % höhere Kosten verursacht als ein normalgewichtiger.
Für 2003 nennt die Deutsche Adipositas-Gesellschaft Behandlungskosten für Adipositas von über 85 Millionen Euro, für die Folgeerkrankungen noch einmal 11,3 Millionen und Arbeitsausfälle 1,4 bis 1,6 Millionen.
Komme ich auf meine Eingangsfrage zurück: „Geht Liebe durch den Magen?“ Die klare Antwort ist: „JA“!
Liebe geht durch den Magen, indem Eltern versuchen, - ihren Kindern regelmäßig gesundes Essen zu geben - mit ihren Kindern gemeinsam zu kochen - Essensportionen kindgerecht zu gestalten - Das Schulbrot wieder ein Schulbrot sein zu lassen und nicht ein Sammelsurium aus kalorienreichen Schokoriegeln - als Belohnung statt Schokolade einfach mal zusammen einen Ausflug zu machen oder auf der nächsten Wiese eine Rund Fußball zu spielen - Kinder nicht vor dem Computer oder Fernseher zu „parken“
Wenn wir als Eltern nicht anderen den Schwarzen Peter zuschieben, wenn wir selber wieder Verantwortung für unsere Kinder übernehmen, wenn wir ein gutes Vorbild abgeben, dann werden unsere Kinder hoffentlich in 30-50 Jahren kein Volk von herzkranken Diabetikern sein, deren Lebenserwartung unter unserer eigenen liegt.