Sie ist eine sehr eigenwillige Pflanze: Die Mistel wächst im Winter, sie wurzelt nicht in der Erde und richtet sich nicht nach der Sonne aus. Vielmehr gedeiht sie als Halbschmarotzer auf Laubbäumen, Kiefern und Tannen und entzieht den Bäumen über sogenannte „Senker“ Wasser und Salze. Man erkennt sie an ihrer kugeligen Gestalt mit immergrünen Blättern an Zweigen, die unbeeindruckt von Licht und Schwerkraft gleichmäßig in alle Richtungen wachsen.
Heute ist die Mistel als Heilpflanze insbesondere aus der komplementären Krebstherapie bekannt. Schon 1917 wurde das erste Mistelprodukt entwickelt, das Krebspatienten unter die Haut gespritzt wird. Weltweit existieren rund 1.200 Mistelarten, von denen aber nur die weißbeerige Mistel (Viscum album L.) in der Krebstherapie Anwendung findet. Von dieser gibt es wiederum drei Unterarten, die abgestimmt auf Tumorart und Patientensituation eingesetzt werden: Laubbaummistel, Kiefernmistel, Tannenmistel. Die Misteltherapie kann vor, nach und begleitend zu einer onkologischen Standardtherapie erfolgen.
Mistelpräparate enthalten mehr als 1.000 verschiedene Stoffe, die – wie bei vielen Heilpflanzen – erst im Zusammenspiel ihre volle Wirkung entfalten. Ein Beispiel sind die Mistellektine, deren immunstabilisierende Wirkung und tumorhemmende Eigenschaften gut belegt sind. Die zuckerhaltigen Eiweißstoffe werden unter anderem von Viscotoxinen und Polysacchariden, der Aminosäure Arginin, Flavonoiden als sekundären Pflanzenstoffen sowie einem hohen Anteil an Vitamin C ergänzt.
Mistelprodukte werden am Bauch oder Oberschenkel unter die Haut gespritzt. Nach entsprechender Anleitung durch den betreuenden Arzt oder Heilpraktiker können Patienten die Injektion selbst übernehmen. Es ist ein normales und erwünschtes Reaktionszeichen des Körpers auf den Mistelextrakt, wenn sich die Einstichstelle vorübergehend rötet und anschwillt. Bleiben Rötung und Schwellung aus, kann der Behandler die Dosis steigern. Hat die Rötung einen Durchmesser von mehr als 5 cm, wird die Dosis verringert.
Die Misteltherapie verbessert das Gesamtbefinden der Patienten und reguliert die Körperrhythmen (Temperatur, Schlaf, Verdauung). Im Rahmen einer Krebserkrankung ist das ein wichtiger Faktor. Denn Patienten, die emotional wie körperlich relativ stabil und vital sind, vertragen in der Regel Standardtherapien wie Chemo-, Strahlen- oder Hormontherapie wesentlich besser. So wirkt die Misteltherapie gegen Fatigue, eine übermächtige Erschöpfung, die viele Krebspatienten daran hindert, ihren Alltag zu bewältigen. Weiterhin lindert die Misteltherapie Übelkeit und andere Beschwerden in Folge einer Chemotherapie, und auch krankheitsbedingte Depressionen werden verbessert.
Studien belegen, dass die Misteltherapie die Lebensqualität signifikant verbessern und die Nebenwirkungen einer Chemotherapie verringern kann1 2: Fußnote hier einfügen. Empfohlen wird die Mistel vor allem bei soliden Tumoren, zum Beispiel bei Brust-, Eierstock-, Lungen- und Darmkrebs.
Der behandelnde Arzt oder Heilpraktiker wählt die passende Mistelart und führt die ersten Injektionen durch, die der Patient aber später zu Hause selbst setzen kann. Eine Misteltherapie wird von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen, wenn schwere Nebenwirkungen der Chemotherapie gelindert werden sollen oder wenn es sich um eine palliative Maßnahme handelt. Die privaten Krankenkassen übernehmen meistens die Kosten der Misteltherapie.
Hinweis: Die Misteltherapie sollte immer von einem Arzt oder Heilpraktiker durchgeführt werden.
Tröger et al. Additional Therapy with a Mistletoe Product during Adjuvant Chemotherapy of Breast Cancer Patients Improves Quality of Life: An Open Randomized Clinical Pilot Trial. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine 2014;Article ID 430518, 9 pages ↩
Kienle G und Kiene H. Influence of Viscum Album L (European mistletoe) extracts on quality of life in cancer patients. A systematic review of controlled clinical studies. Integrative Cancer Therapies 2010;9(2): 142-57 ↩