Multiple Sklerose (MS), in der Fachsprache als Encephalomyelitis disseminata bezeichnet, zählt zu den nicht ansteckenden Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Wie Forscher der TU München nun herausfanden, stellen sich Betroffene schon Jahre vor der MS-Diagnose deutlich häufiger als andere Personen ärztlich vor. Diese mögliche Vorläufer-Phase der MS, bezeichnet die Fachwelt als Prodromalphase. Studienergebnisse legen nun nahe, dass es sich bei den dabei auftretenden Beschwerden häufig um nicht erkannte erste Schübe der Erkrankung handelt.
MS-Erkrankte können durch eine Schädigung des Nervensystems eine Reihe von verschiedenen Beschwerden entwickeln. In frühen Krankheitsstadien zeige sich diese unter anderem in Störungen der Sensibilität, also beispielsweise Taubheitsgefühle oder Sehstörungen. Bei den meisten Betroffenen beginnt die MS mit Schüben, das heißt Symptome treten auf, die sich dann auch wieder zurückbilden. Gerade zu Beginn der Erkrankung sind die Symptome vielfältig und so ist es selbst für erfahrene Ärztinnen und Ärzte oftmals schwierig, die Zeichen richtig zu deuten und die Diagnose MS zu stellen.
Was man schon seit einiger Zeit beobachtet ist, dass sich MS-Betroffene schon Jahre vor ihrer Diagnose weitaus häufiger ärztlich vorstellen oder im Krankenhaus behandeln lassen als Menschen ohne MS. Ein Team an der TUM um den Neurologen Prof. Bernhard Hemmer hat nun in einer neuen Studie gezeigt, dass es sich bei den Beschwerden vor der Diagnose wahrscheinlich nicht um eine solche Prodromalphase handelt. „Vielmehr vermuten wir hinter den Gründen zur ärztlichen Vorstellung bereits erste Schubereignisse“, sagt Prof. Hemmer. „Denn wir haben herausgefunden, dass bei den Arzt- und Klinikbesuchen vermehrt Beschwerden vorlagen, die auf erste Symptome der MS hinweisen. Wir glauben, dass viele Beschwerden, die bisher einer Prodromalphase zugeordnet wurden, durch die bereits bestehende Erkrankung selbst verursacht werden. Wir glauben deshalb, dass die, zu diesem Zeitpunkt noch nicht diagnostizierte Erkrankung schon voll aktiv ist und sich nicht in einem Vorstadium, dem sogenannten Prodrom (Vorstufe, Anm. d. Red.), befindet.“
Damit könnten die neuen Studienergebnisse auch die Möglichkeit eröffnen, die Therapie der MS zu optimieren: „Je früher eine MS erkannt wird, desto besser können wir die Erkrankung behandeln“, sagt Erstautorin Dr. Christiane Gasperi, Ärztin und Wissenschaftlerin am Neuro-Kopf-Zentrum am Klinikum rechts der Isar der TUM. „Wir müssen nun genauer untersuchen, welche frühen Symptome der MS unter Umständen übersehen werden. Dies könnte dabei helfen, die Erkrankung früher zu erkennen und damit auch früher eine Therapie einzuleiten.“
Neben den beschriebenen häufigeren Beschwerden in den Jahren vor einer MS-Diagnose fiel in dieser Studie auf, dass sich Personen mit MS weniger häufig für Infekte der oberen Atemwege ärztlich vorgestellt haben. „Dies war ein unerwartetes Ergebnis, zumal Schubereignisse bei MS in der Vergangenheit manchmal mit Infekten in Verbindung gebracht werden konnten“, sagt Co-Erstautor PD Dr. Alexander Hapfelmeier vom Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der TUM. „Ob es allerdings einen kausalen Zusammenhang zwischen MS und einem gewissen Schutz vor manchen Infektionen gibt, oder ob sich in den analysierten Versorgungsdaten eine schützende Verhaltensänderung erkrankter Personen widerspiegelt, müssen wir in zukünftigen Studien untersuchen.“
Quelle: TU München