Der Schutz der Angehörigen, die Wahrung der finanziellen Stabilität, das Management der Work-Family-Life-Balance im Homeoffice und die Beobachtung einer sich entfaltenden globalen Krise beunruhigen die meisten von uns. Es besteht kein Zweifel, dass die Pandemie für uns alle erheblichen Stress und Unsicherheiten mit sich gebracht hat. Nach Monaten der Anpassung stehen viele nun vor der Frage: Rückkehr ins Büro, ja, nein oder ein?. Und was bedeutet diese erneute Änderung für das persönliche und mentale Wohlergehen?
Arjan Toor, CEO Europe des globalen Gesundheitsdienstleisters Cigna, kommentiert die drängendsten Fragen:
Keine beschwerlichen Pendlerwege, flexible Arbeitszeiten und mehr Zeit für die Familie: Vor COVID-19 hätten die meisten Arbeitnehmer die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten mehr als begrüßt – ist Homeoffice die neue, bessere Art zu arbeiten?
Keine Frage, die Umstellung aufs Homeoffice war eine der wichtigsten Veränderungen, die durch die COVID-Maßnahmen herbeigeführt wurde. In der Europäischen Union haben 2018 in der Regel nur fünf Prozent der Erwerbstätigen von zu Hause aus gearbeitet, was nicht nur bedeutet, dass Arbeitnehmer in ganz Europa ihre Esstische, Wohn- oder Schlafräume zu Arbeitsplätzen umgewandelt haben, sondern auch dass sich Millionen an eine völlig neue Arbeitsweise gewöhnen mussten.
Dass das Homeoffice funktioniert, belegt unsere jüngste COVID-19 Global Impact Study, in der weltweit mehr als 10.000 Menschen nach dem Einfluss von COVID-19 auf ihre Arbeit und ihr Sozialleben befragt wurden. Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist, dass die Arbeit von zu Hause aus das Arbeitsleben der Befragten verbessert hat – trotz oftmals längerer Arbeitszeiten. Weltweit gaben 76 Prozent an, dass ihr Arbeitstag flexibler geworden ist. Darüber hinaus sind die Menschen ihren Kollegen während der Krise nähergekommen. 64 Prozent stimmten zu, dass die Arbeit im Home-Office und digitale Kommunikationsmöglichkeiten ihre Beziehungen zu Kollegen verbessert und deren Aufrechterhaltung erleichtert haben. Mithin gibt es einige deutliche Anzeichen dafür, dass das Arbeiten von zu Hause insgesamt zur Verbesserung des Arbeitslebens beigetragen hat.
Sie sagten, dass viele Menschen im Homeoffice dazu neigen, länger zu arbeiten. Zudem zeigt Cignas Studie, dass viele ein Problem damit haben, abzuschalten. Was können Arbeitgeber tun, um dieses Problem zu lindern?
Richtig, unsere Studie zeigt auch die Kehrseite der Flexibilität im Homeoffice: Immer mehr Menschen fällt es schwer abzuschalten. Rund 79 Prozent gaben an in einem „Always-on“-Modus zu arbeiten – das hat in den meisten Regionen zugenommen. Schon vor der Pandemie war es üblich, rund um die Uhr erreichbar zu sein und nur keine Anrufe, E-Mails und Nachrichten zu verpassen. Angesichts der Tatsache, dass COVID-19 die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben verwischt, überrascht dieses Ergebnis nicht. Dennoch ist ein „Always-on“-Modus der allgemeinen Gesundheit und dem Wohlbefinden äußerst abträglich und sorgt verstärkt für Stress.
Hier sind die Arbeitgeber gefragt, beispielsweise ein Well-Being-Programm zu etablieren, in dessen Mittelpunkt das Angebot von stressbewältigenden und angstreduzierenden Maßnahmen und Instrumenten steht. Wenn die Menschen nach und nach in die Büros zurückkehren, können derartige Programme und Maßnahmen in der Arbeitskultur verankert werden, zum Beispiel Flexibilität in Bezug auf Arbeit im Homeoffice; regelmäßige Check-Ins, bei denen das Wohlbefinden der Mitarbeiter abgefragt wird; Anhalten zur Selbstreflexion und ähnliches sind Maßnahmen, die zur Steigerung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz beitragen können und zugleich Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern ausdrücken.
Was macht es mit uns, wenn wir jetzt wieder ins Büro sollen?
Bei der Rückkehr ins Office gibt es einige Faktoren, die sich negativ auf das Stresslevel der Arbeitnehmer auswirken können. Schon bevor die Weltgesundheitsorganisation COVID-19 am 11. März 2020 zur Pandemie erklärte, befand sich die psychische Gesundheit der erwerbstätigen Europäer in einem heiklen Zustand. Laut Cignas jährlicher weltweiten Studie zum Wohlbefinden, der 360 Well-Being Survey, berichteten Arbeitnehmer branchenübergreifend in Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden über ein Stressniveau, das über dem weltweiten Durchschnitt liegt.
Nach nunmehr drei Monaten im Homeoffice haben wir neue Strukturen gefunden, unseren Alltag zu organisieren. Die Rückkehr in Kindergarten, Schulen und Büros bedeutet eine erneute Veränderung, die wir verarbeiten müssen und die somit erstmal als weiterer Stress-Faktor wahrgenommen werden kann. Lange Stressperioden sind schädlich für die Gesundheit. Sie können sich auf vielfältige Weise manifestieren, sowohl physisch als auch psychisch.
Welche Tipps haben Sie für Arbeitnehmer, um mit dieser Situation umzugehen?
Natürlich gibt es keine one-fits-all-Lösung. In einem ersten Schritt ist es immer gut, sich mit den neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Es gilt zu hinterfragen, was die neue Situation bedeutet, was sich im Alltag ändern wird und dadurch entstehende Ängste zu kommunizieren, sei es dem Partner, den Freunden, der Familie, den Kollegen oder dem HR-Team; es kommt auf die Situation und den Einzelnen an. Wichtig ist es auch, sich klar zu machen, was im Homeoffice besser oder schlechter lief und sich selbst zu fragen: Will ich bestimmte Routinen beibehalten, wie nachmittags Freizeit mit meinen Kindern zu verbringen und mich dann lieber abends nochmal an den Rechner zu setzen? Und behalte ich den wöchentlichen Austausch mit Kollegen im Kalender? Bin ich zuhause viel produktiver oder lebe ich mit Risikogruppen zusammen, die ich nicht gefährden möchte? Es gibt sicherlich Möglichkeiten, die Arbeit entsprechend zu arrangieren.
Neben den Gesprächen mit Freunden und Familie sind Bewegung sowie die Aufnahme eines neuen Hobbys für jeden gute Möglichkeiten, Stress besser bewältigen und bekämpfen zu können. Laut Cignas Untersuchungen versäumt es jedoch die Mehrheit der Europäer, diese vorteilhaften Bewältigungsmechanismen in Stressphasen anzuwenden. Nur ein Drittel gibt an, sich mehr zu bewegen, 28 Prozent besprechen ihre Sorgen mit Freunden und Familie und etwas mehr als jeder Fünfte geht einem neuen Hobby oder Interesse nach. Wir gehen alle unterschiedlich mit Stress um, und jeder muss seinen eigenen Zugang finden.